Die Inseln des Ichs
Eine Traumvilla mitten im Elend: Der Roman »Mondbeben« von Ludwig Fels fasziniert und klingt lange nach
Zwei Geschichten in eine verwoben: Ein Paar kam zusammen, weil er sie gegen ihren gewaltsamen Ehemann verteidigte - unverhältnismäßig, wie das Gericht befand. Helen ließ sich scheiden und heiratete Olav noch im Gefängnis.
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Ludwig Fels: Mondbeben.
Jung und Jung, 310 S., geb., 24 €.
Vereint in Freiheit, soll für die beiden ein neues Leben beginnen. Durch eine Erbschaft plötzlich vermögend, reisen sie auf eine südliche Insel, wo sie sich eine Villa kaufen wollen. Verlockt per Internet - das kann nicht gut gehen, wie wir ahnen. Dabei ist schon die rührende Anhänglichkeit der beiden - Liebeserklärungen auf fast jeder Seite - überschattet von Zukunftsängsten. Er befürchtet eine ernste Erkrankung, sie den Verlust eines Auges, nachdem …
Womit wir schon beim beängstigenden Geschehen auf dieser »Insel der Inseln« wären, die Ludwig Fels Zifere Island nennt. Atmosphärisch dicht beschreibt er den Traum und das Erwachen, das Befremden und das Erschrecken. Lesend versetzt man sich in die beiden hinein, fühlt mit, wie sie stolpern und fallen. Hätte man sich anders verhalten an ihrer Stelle? Trink nicht so viel, sagt man in Gedanken zu Olav, immer wieder, ehe man sich klarmacht, dass der Mann hoffnungslos dem Alkohol verfallen ist. Wen hast du dir da ausgesucht, flüstert man Helen zu.
Vielleicht aber war er der Beste, den sie haben konnte. Ihr Retter, ihr Prinz. Und wie er kämpft! Kommen die Liebenden noch irgendwie heraus aus der Falle? Indes, welche Anmaßung! Anzurücken mit einem Packen Banknoten in der Tasche, um sich ein noch schöneres Leben zu kaufen, als sie es zu Hause hatten. Und das Elend um sie herum stört sie nicht?
Wie Ludwig Fels sie mitfühlend begleitet, ist es ein Balanceakt, weil man vielleicht erst allmählich Distanz findet zu ihrem (doch allgemein üblichen) Touristenhochmut und dem Erstaunen, dass es jenen an Respekt gebricht, die sie insgeheim wie selbstverständlich für Bedienstete halten. Was das für Zustände seien, mag man sich mit ihnen zusammen empören. So schutzlos möchte man nicht sein vor krimineller Staatsgewalt und gewaltbereiten Kinderbanden. Die schrecklichen Bilder getöteter Menschen mögen im Fernsehapparat bleiben. Aber so wie Helen und Olav davon betroffen sind, werden auch wir sie nicht wegschieben können. Und es gibt ja auch noch andere - den Arzt Dr. Chalie, den Makler Mr. Moses, Police Officer Gakee, die Prostituierte Assumpta, ihre kleine Tochter Cisilia -, die, unterschwellig fast, ihre eigenen Sichtweisen einbringen.
Ludwig Fels erzählt mitreißend, packend. Die aktionsreiche Handlung hält in Atem. Dabei sind die Nachwirkungen immens. Das Buch lässt einen nicht los. Die ganze Welt und darin Inseln des Ichs. Persönliche Wünsche nach gutem, langem Leben. Tanzen, umgeben von schwieriger Wirklichkeit, ein Dennoch. Und die anderen - ob neben einem oder ganz weit weg?
Alles ist miteinander verbunden, im Guten wie im Bösen. Im Hafen von Zifere Island kann man den Blick nicht losreißen von einem Denkmal für die Sklaven, die hier, in einer Grube in Eisen geschmiedet, auf ihren Abtransport warteten; Skulpturen aus Bronze, inzwischen von lauter Unrat bedeckt. Wenn sich die Sklaven erheben, wird es für ihre Peiniger nicht lustig. Olav und Helen sind in einen Kampf geraten, in dem es ums Überleben geht, aber auch um Würde und Widerstand. Gute Sitten? Nicht zu erwarten von Hungernden, ohne Dach überm Kopf.
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