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Jubeln und Schweigen

Krieg, Angst, Folter, Propaganda und zerplatzte Träume: Ivana Sajko über das Leben im kroatischen Jugoslawien in seiner ganzen Hässlichkeit

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Zagreb wird im Jahr 1941 von deutschen Panzern eingenommen. Die faschistische Ustascha-Bewegung kollaboriert mit den Nazis und ruft den Unabhängigen Staat Kroatien aus. In den Wäldern kämpfen die kommunistischen Partisanen. Angeführt von Josip Broz Tito gelingt es ihnen 1945, die Stadt einzunehmen. Kroatien wird Teil von Jugoslawien, das die folgenden Jahrzehnte von Tito regiert wird. 1991 erklären Kroatien und weitere Balkanstaaten ihre Unabhängigkeit, Jahre des Krieges folgen.

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Ivana Sajko: Familienroman. Die Ereignisse von 1941 bis 1991 und darüber hinaus.
A. d. Kroat. v. Alida Bremer. Voland & Quist, 172 S., geb., 20 €.

Ivana Sajko hat die Geschichte Kroatiens und die Geschichte der eigenen Familie in ihrem neuen Roman untersucht, der den passenden Titel »Familienroman« trägt. Der vorherige Roman der kroatischen Autorin hieß »Liebesroman«. Aber genauso wenig, wie es sich dabei um eine Schnulze handelte, ist ihr neues Buch das, was man sich unter einem Familienroman vorstellt. Kein dicker Wälzer, der das tragische Schicksal einer Familie über mehrere Generationen und viele Seiten hinweg begleitet. Sajko benötigt gerade mal 170 Seiten, um über »die Ereignisse von 1941 bis 1991 und darüber hinaus«, wie der Untertitel des Buches lautet, zu schreiben.

Am Anfang steht eine Reflexion über Schreiben und Erinnerung. Was ist eigentlich die historische Wahrheit? »Ich wollte einen historischen Roman schreiben, auf die einzige Art, die ich für möglich halte, unter Vermeidung sowohl des Genres wie auch jeder Ideologie, wie eine Geschichte, die sich vielleicht gar nicht ereignet hat, die sich eigentlich gar nicht ereignen kann. Wir können nur von ihr träumen und sie später wie einen Traum nacherzählen. Absolut persönlich. Ohne irgendetwas zu behaupten.« Dieser Anspruch wird umso verständlicher, wenn im Verlauf des Romans davon erzählt wird, wie sich an der Schule ständig der Inhalt des Geschichtsunterrichts ändert, weil er der neuesten offiziellen politischen Linie angepasst wird.

Sajko selbst will keine solche Linie vorgeben, sondern verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Perspektiven Raum geben. So gelingt es ihr, etwas von der Komplexität der historischen Ereignisse einzufangen, in der sich individuelles Erleben mit gesellschaftlichen Entwicklungen verbindt. In »Familienroman« finden sich deshalb emotionale Momentaufnahmen aus dem Leben der Figuren neben historischen Beschreibungen und Dokumenten. In einer Szene träumt ein kleines Mädchen, fliegen zu können und Zagreb vom Himmel aus zu betrachten, in einer anderen wird Titos Rede »Über die negativen Einflüsse auf die Jugend« zitiert. So entsteht ein eigenwilliger, collagenartiger Stil.

»Wie kann man das aufschreiben?«, fragt die Erzählerin, wenn es um Folter und Massengräber geht. Sajko findet die passenden Worte dafür. Knapp und schonungslos beschreibt sie das Leben in seiner ganzen Hässlichkeit: Krieg und Angst, Folter und Traumata, Propaganda und zerplatzte Träume. Das ist keine schöne Lektüre, aber sie lohnt sich. Man beginnt nachzuempfinden und zu verstehen, was bestimmte politische Ereignisse und Erfahrungen für die Menschen bedeutet haben. Das ist besonders erstaunlich, weil Sajko keine komplexen Figuren aufbaut, mit denen man sich identifizieren könnte. Die Beschreibungen der Personen bleiben distanziert. Viele Figuren haben nicht mal einen Namen. Aber ihre Erfahrungen sind eben nicht nur individuell, sondern die Erfahrungen einer Generation, einer Gesellschaft. Gleichzeitig haben sie etwas berührend Menschliches, das einen nicht kaltlassen kann.

Am eindrücklichsten sind Sajkos Beschreibungen derjenigen, die bloß abwarten und hinnehmen, was passiert. Diese Passivität erschreckt, weil sie selten so deutlich und so nüchtern beschrieben wird. Die Leute jubeln, wenn sie jubeln sollen, und schweigen, wenn es besser ist, zu schweigen. Das haben sie unter den Faschisten getan und tun es weiter unter Tito. Wer gerade regiert, ist ihnen gleichgültig. Das Schweigen und Hinnehmen zieht sich auch in die persönlichen Beziehungen hinein: »Sie wird ihn fragen, ob es ihm gut gehe, und dann wird er sie das Gleiche fragen, und dann werden beide lügen, dass es ihnen gut gehe, gut, zum hundertsten, zum zweihundertsten und zum tausendsten Mal. So wie immer.«

Diesen »Familienroman« vergisst man nicht so schnell. Indem Ivana Sajko nichts behauptet und nichts romantisiert, weder die Familie noch den Partisanenkampf, zeigt sie, wie ein gelungenes Schreiben über Geschichte und Erinnerung aussehen kann.

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