Corona-Partys im Kitzloch

Österreich: Tiroler Behörden in der Kritik wegen fahrlässigen Umgangs mit Infektionen in Skigebieten

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Paznauntal geht nichts mehr. Ebenso in St. Anton. Wo normalerweise zu dieser Jahreszeit die Kassen klingeln, herrscht jetzt Stille. Die Orte stehen jetzt unter Quarantäne. Noch vor einer Woche tobte hier der Ski-Ballermann. Der Umgang der Tiroler Behörden mit Corona-Fällen macht inzwischen so manchen Experten fassungslos. Denn erst am vergangenen Samstag wurde der Skibetrieb zuerst in der Region Ischgl und im Paznauntal eingestellt und ab Sonntag in ganz Tirol. Mittlerweile scheint es klar zu sein, dass Tirol und insbesondere das Paznauntal und Ischgl eine »Drehscheibe« bei der Verbreitung des Corona-Virus in ganz Europa waren. Landesrat Bernhard Tilg allerdings erklärte noch am Montagabend in einem TV-Interview: »Die Behörden haben alles richtig gemacht.« Ausländische Medien würden einen falschen Eindruck erwecken.

Ein Tiroler Mediziner dagegen meint: »Im Paznauntal hat man sicher einiges verschlafen.« Beobachter vermuten, dass die in Tirol mächtige Skiliftbetreiberlobby einen Anteil an der verzögerten Reaktion auf die Infektionen hat. Also jene Lobby, die in der Vergangenheit unter anderem durch dubiose Flächenumwidmungen von sich reden machte.

Schon jetzt ist die Kette der Verschleppung von Maßnahmen in Tirol an sich lückenlos nachvollziehbar. Nachdem 15 Isländer nach ihrer Heimkehr aus Tirol positiv auf Covid-19 getestet worden waren, hatten die isländischen Behörden Tirol bereits am 5. März zum Gefahrengebiet erklärt. Eine Liste der Patientennamen wurde an die Tiroler Behörden übermittelt, damit diese feststellen könnten, welche Unterkünfte unter Quarantäne gestellt werden müssten. Doch es geschah: nichts.

Zumindest begann man mit Tests - um dann die Ergebnisse herunterzuspielen. Noch am 8. März, einen Tag, nachdem ein Barkeeper in der Après-Ski-Bar »Kitzloch« positiv getestet wurde, erklärte der Tiroler Landessanitätsdirektor: Eine Ansteckung von Besuchern der Bar sei »aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich«. Dabei sind derartige Bars in der Saison Abend für Abend brechend voll. Die Bundesbehörden hatten die Bürger zu diesem Zeitpunkt bereits aufgefordert, zwecks Prävention ein bis zwei Meter Abstand zu anderen Personen zu halten.

Die Bar blieb also offen - auch, nachdem tags darauf 15 Personen aus dem Umfeld des Barkeepers positiv getestet worden waren. Erst am 10. März wurde das Lokal geschlossen. An diesem Tag behauptete der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, das Problem sei eher in Italien angesiedelt. Eine Quarantäne für Ischgl solle es daher ebenso wenig geben wie »drastische Maßnahmen«, also die vorfristige Beendigung der Skisaison. Letztere wurde erst am 14. März verfügt.

Das Sahnehäubchen auf dem Fiasko: Als die ausländischen Touristen dann doch aus dem Paznauntal gebracht wurden, quartieren sich viele von ihnen eigenständig und unkoordiniert seitens der Behörden in Innsbruck ein, wo sie auf Ihre Flüge nach Hause warteten. Befürchtet wird nun, dass sich inmitten des Tiroler Corona-Chaos mehr als 1000 Menschen unkontrolliert angesteckt haben. Dennoch bleibt Landesrat Tilg dabei: Es wurde alles richtig gemacht.

Jetzt gilt Tirol als Corona-Hochrisikogebiet. 311 Infektionen waren dort bis Dienstag Vormittag bestätigt. Wie in ganz Österreich gilt Ausgangssperre, Tirol wurde zudem praktisch abgeriegelt.

Nach Angaben von Anna Doblander, Leiterin der Rot-Kreuz-Notrufstelle in Imst in Tirol ist der Betrieb dort derzeit sehr ruhig. Doch Doblander meint, das sei die Ruhe vor dem Sturm. Die Mediziner bereiten sich auf eine Welle an Akutfällen vor. Dazu würden Abläufe optimiert, Hygienebestimmungen laufend aktualisiert und vor allem Kapazitäten geschaffen. Es herrsche ein akuter Mangel an Material, so Doblander gegenüber »nd«. Auf das Krisenmanagement der Tiroler Behörden angesprochen, sagt die Ärztin: »Wir haben bis vor einer Woche einfach nicht die Härte der Situation erfasst.« Erst angesichts der Eskalation in Italien sei bewusst geworden, was für ein riesiges Problem das Virus sei.

Erheblicher Frust über die Ignoranz der Zuständigen in Tirol herrscht derweil auch in Dänemark, Schweden und Norwegen, denn viele Bürger dieser Staaten waren sich ebenfalls dort im Skiurlaub mit Corona angesteckt, unter ihnen fast 500 Norweger und 170 Dänen.

In Österreich selbst gibt es bislang insgesamt mehr als 1000 bestätigte Corona-Fälle, drei Menschen sind an der Erkrankung gestorben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.