Werbung

Virus attackiert Protestkultur

Viele Initiativen sagen Aktionen ab / Zwangsräumung des »Syndikat« trotz Demoverbots?

  • Jonas Wagner
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Coronavirus legt nicht nur das öffentliche Leben Berlins zunehmend lahm, es schränkt auch das politische Engagement ein. So verschiebt das »Aktionsbündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn« die Großdemonstrationen des für den 28. März geplanten europaweiten »Housing Action Day«. Statt Massendemonstrationen gegen horrende Mietpreise und für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne sollen nun kleinere, dezentrale Aktionen stattfinden.

Das Aktionsbündnis aus mehr als 100 Initiativen in 38 Städten fordert Politik und Wirtschaft angesichts der Coronakrise zu solidarischen Sofortmaßnahmen wie der Aussetzung von Zwangsräumungen sowie von Strom- und Wassersperren auf. »Covid-19 beweist, wie wichtig unser Wohnraum auch als Schutzraum ist«, so Sprecher Felix Wiegand. »Besonders in Krisenzeiten darf Wohnraum nicht als Ware behandelt werden.«

Ähnliche Forderungen kommen von Kristian Ronneburg und Bjoern Tielebein (beide Linke). »Wir fordern die verantwortlichen Stellen auf, insbesondere die Bundesregierung sowie die Wohnungs- und Stromunternehmen, keine Zwangsräumungen von Wohnraum, Stromsperren und Kürzungen von Sozialleistungen durchzuführen«, so die Bezirkspolitiker aus Marzahn-Hellersdorf. Der Senat müsse sich nun »mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln« für die Betroffenen einsetzen. »Gerade in der derzeitigen Krise ist es unverantwortlich, Menschen auf die Straße zu setzen oder sie von der dringend notwendigen Stromversorgung auszusperren.«

Die Senatsjustizverwaltung hat am Dienstag den Präsidenten des Kammergerichts gebeten, dass Gerichtsvollzieher »soweit wie möglich von Zwangsvollstreckungen im Wohnraum Abstand nehmen«, wie Sprecher Sebastian Brux dem »nd« mitteilte. Demnach sollen im Einzelfall Zwangsvollstreckungen »auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt« werden. Es dürfe jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass der Rechtsstaat jetzt Pause mache, betonte Brux.

Auch die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« muss nun ihre Abläufe umstellen. »Es ist ja klar, dass wir jetzt keine Demos machen«, sagt Sprecher Ralf Hoffrogge zu »nd«. Die regelmäßigen Plena habe man bis auf Weiteres abgesagt, man kommuniziere nun vorrangig per Mail, so Hoffrogge weiter. »Einige konzentrieren sich auf ihr Nahumfeld und versuchen da, solidarisch zu sein«, erklärt er. »Viele Leute helfen ihren Nachbarinnen und Nachbarn.«

Die Umweltaktivist*innen von »Extinction Rebellion« (XR) haben ihre für Anfang Mai angekündigten Aktionen in Berlin ebenfalls abgesagt. Allerdings wolle man »neue, kreative Aktionsformen entwickeln, die der Lage angemessen sind«, heißt es in einer Mitteilung. Ähnlich geht die Berliner Fridays for Future-Gruppe (FFF) vor: Statt zum freitäglichen Klimastreik riefen die Aktivist*innen vergangene Woche zum »Netzstreik« auf, woraufhin zahlreiche Menschen Bilder von sich und ihren Schildern in sozialen Netzwerken posteten. Ob der für den 24. April geplante globale Klimastreik stattfinden kann, ist noch unklar.

Bis auf Weiteres verschoben ist auch der ursprünglich für den heutigen Mittwoch angesetzte Räumungsprozess der Kreuzberger Kneipe »Meuterei«. Anders sieht es in Neukölln aus, wo die Kiezkneipe »Syndikat« ihrer Räumung am 17. April entgegensieht - trotz Corona. Das Betreiber*innenkollektiv mobilisiert daher nach wie vor zu Protesten gegen die Räumung, obwohl man sich der »Ernsthaftigkeit des Coronavirus durchaus bewusst« sei. Allerdings dürfe es keine Zwangsräumungen geben, »während gleichzeitig der legitime Protest dagegen verboten werden soll«, so das Kollektiv weiter. »Alles andere als eine Absage der Räumung werden wir nicht akzeptieren.«

Ob die von der Justizsenatsverwaltung erbetene Aussetzung von Zwangsräumungen auch das »Syndikat« betrifft, konnte Sprecher Sebastian Brux am Dienstag nicht sagen. »Es ist ja noch viel Zeit bis dahin«, so Brux. Zurzeit gehe es vor allem darum, dass Menschen ihre Wohnung nicht verlieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.