Bahn frei für die BVG

Verkehrsunternehmen darf bis zu 1500 neue Waggons beim Hersteller Stadler bestellen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sie werden das Verfahren hier verlieren«, sagte der beisitzende Richter Magnus Radu am vergangenen Freitag kurz vor Schluss des zweiten Verhandlungstags an die Anwälte des Klägers gerichtet. Sie vertreten den französischen Schienenfahrzeugkonzern Alstom, der wegen der milliardenschweren Bestellung von bis zu 1500 neuen U-Bahn-Wagen gegen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Klage eingereicht hat. Knapp zwei Stunden später teilte das Berliner Kammergericht offiziell mit: Die Klage ist abgewiesen. Eine Berufung gegen das Urteil ist nicht möglich.

Damit kann die BVG knapp zehn Monate nach der offiziellen Verkündigung des Gewinners des Vergabeverfahrens den Auftrag an die Pankower Tochter des Schweizer Bahnkonzerns Stadler auslösen. »Wir sind sehr erleichtert, dass wir nun den für die Berlinerinnen und Berliner so wichtigen Zuschlag für den Kauf von bis zu 1500 neuen U-Bahn-Wagen erteilen können«, erklärt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt auf nd-Anfrage.

»Endlich können wir neue Züge für die BVG und die Modernisierung auf den Weg bringen«, kommentierte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens ist, das Urteil. Sie bezeichnete es als einen »wirklichen Lichtblick« in der Coronakrise. »Nach der Krise geht es weiter, auch dafür schaffen wir jetzt schon die Voraussetzungen«, so die Senatorin weiter.

Bestandteil des Rahmenvertrags ist eine feste Bestellung von 606 Wagen. Stadler werde ab 2022 in einem ersten Abruf 376 Wagen für zwei- bis vierteilige Fahrzeugeinheiten für das sogenannte Kleinprofil der Linien U 1 bis U 4 sowie Linien U 5 bis U 9 mit breiteren Tunnels liefern, teilte das Unternehmen mit. Weitere 230 Wagen würden erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen. Der Auftragswert dafür liege inklusive Ersatzteilversorgung für 32 Jahre bei 1,2 Milliarden Euro. Das entspricht rechnerisch also knapp unter zwei Millionen Euro pro Einzelwagen - mit dem Ersatzteilpaket ein äußerst günstiger Preis. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, bis zu 894 weitere Wagen aus dem Rahmenvertrag abzurufen.

Der Schnäppchenpreis hat Auswirkungen. Die Renderings lassen im Vergleich zu den Modellen der letzten 25 Jahre eher spärliche Fensterflächen erkennen. Während des laufenden Verfahrens schimpften Insider bereits über eine »Billigbahn«, die da komme.

Bei der Verhandlung am Freitagnachmittag ging es in den letzten Minuten noch einmal hoch her. Nachdem das Gericht erklärt hatte, dass ein Urteil bis zu einem halben Jahr dauern könnte, kündigte BVG-Anwalt Malte Müller-Wrede an, eine Entscheidung über den Produktionsstart zu erzwingen. Auf entsprechenden Antrag hätte das Gericht innerhalb von zwei Wochen entscheiden müssen, ob trotz laufenden Verfahrens dem ursprünglich siegreichen Bieter Stadler Pankow der Auftrag erteilt werden kann.

Vergleichsverhandlungen mit Alstom waren gescheitert. Der Vertreter von Stadler äußerte kartell- und wettbewerbsrechtliche Bedenken und rügte, ebenso wie sein BVG-Kollege, mangelnden Stil beim Prozessgegner. Schon der erste Verhandlungstag vor dem Kammergericht im November 2019 nahm keinen günstigen Verlauf für Alstom. Die vorsitzende Richterin Cornelia Holldorf machte deutlich, dass sie alle 23 von den Franzosen gerügten Punkte für nicht stichhaltig hielt. Für Außenstehende kaum nachvollziehbar, wurden doch Vorwürfe wie ein nicht dokumentierter Anruf der BVG vorgebracht, bei dem der französische Hersteller auf bis zu 15 Prozent niedrigere Preise der Konkurrenz hingewiesen worden sein soll. Die Linie des Gerichts: Ein Konzern wie Alstom müsse solche Vorwürfe noch während des Vergabeverfahrens erheben. Die Vergabekammer Berlin hatte zuvor im Nachprüfungsverfahren ähnlich argumentiert.

Im Mai 2019 hatte Stadler von der BVG den Zuschlag erhalten. Der dritte Bieter, ein Konsortium der Konzerne Siemens und Bombardier, wurde bereits während des laufenden Verfahrens aus formalen Gründen ausgeschlossen. Es war mit den von der BVG diktierten Bedingungen nicht einverstanden und bot selbst andere Konditionen an - ein selbst gewähltes k. o.

Zumindest bekam Alstom mit dem Verfahren einen sehr genauen Einblick in die Fahrzeugtechnik des Konkurrenten Stadler.

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