Kalter Krieg in einer sich erwärmenden Region
Wettlauf um Bodenschätze und Militärbasen - Russland und die Nato bringen sich auch in der Arktis in Stellung
Vergangene Woche auf dem Flughafen der kleinen norwegischen Stadt Bodø: In die Schlange der zumeist kleinen startenden Passagiermaschinen mischten sich dickbauchige A400M-Transporter der Deutschen Luftwaffe. Sie flogen militärisches Material in die Heimat zurück, denn die Übung »Cold Response« war von den gastgebenden Norwegern wegen der wachsenden Pandemiegefahr abgebrochen worden.
Das Nato-Manöver, an dem 15 000 Soldatinnen und Soldaten aus Norwegen, den USA, Kanada, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Finnland, aus Dänemark und Schweden sowie Deutschland teilgenommen haben, war wie die meisten anderen hoch im Norden veranstalteten weit weniger im Blickfeld der Öffentlichkeit als vergleichbare Militärtrainings in Osteuropa. Dabei hatte die Bundeswehr allerlei Elitesoldaten aufgeboten: Gebirgsjäger, Fernspäher und Soldaten des Seebataillons. Sogar der Generalinspekteur Eberhard Zorn hatte sich in Kälte und Schnee gewagt. Warum?
Die Nordflanke des atlantischen Bündnisses wird immer mehr zum militärischen Aufmarschgebiet. Russland sei schuld, heißt es im Westen. In der Tat: Moskau hat - erkennbarer als andere Anrainer - eine klare Strategie für die Arktis. Das von Präsident Wladimir Putin vor wenigen Wochen unterzeichnete Dekret »Über die Grundlagen der Staatspolitik der Russischen Föderation in der Arktis für die Zeit bis 2035« ist als politischer Plan für eine umfangreiche wirtschaftliche Erschließung der Region zu werten. Und die wird geostrategisch immer interessanter, seit die Erderwärmung das Eis schwinden und neue Zugänge zu Bodenschätze erkennen lässt. Hier vermuten Forscher ein Viertel aller noch nicht entdeckten Erdöl- und Erdgasvorräte. Dazu gibt es Silber, Gold, Zink, Kohle, Eisen. Ebenso Fisch und jede Menge Platz für Windräder.
Russland beansprucht für die wirtschaftliche Erschließung rund 1,2 Millionen Quadratkilometer Meeresboden, den sogenannten Festlandssockel. Das ist laut UN-Seerechtskonvention legitim und bietet nicht nur für die derzeit zwei Millionen russischen Staatsbürger, die jenseits des Polarkreises leben, neue Arbeitsmöglichkeiten.
Auch die anderen Anrainer der Arktis - Norwegen, Dänemark im Auftrag von Grönland sowie Kanada - haben Ansprüche auf entsprechende Wirtschaftszonen erhoben. Die überschneiden sich zum Teil. Zwar haben sich alle Anrainer bereits 2008 verpflichtet, Streitigkeiten friedlich zu regeln. Doch nicht einmal die Uno hat das Recht, als Schiedsrichter zu agieren. In Zeiten, in denen global ein neuer Kalter Krieg ansteht, werden Einigungen wie die 2010 zwischen Russland und Norwegen erreichte unwahrscheinlicher.
Auch die Möglichkeit, ganzjährig Waren über den nördlichen Seeweg zu transportieren, weckt Begehrlichkeiten. 2018 wurden vor der Nordküste Russlands und unter dessen Kontrolle 30 Millionen Tonnen Güter transportiert. Bis zum Jahr 2024 sollen es nach dem Willen Moskaus 80 Millionen Tonnen sein. Neben Russland interessiert sich vor allem China für den schnelleren Gütertransport zwischen Asien und Europa. Bereits im vergangenen Jahr schlug US-Außenminister Mike Pompeo im sogenannten Arktischen Rat scharfe Töne an. Er warf Moskau aggressives Verhalten vor und bezog Peking, das vor allem als Investor bereitsteht, mit in seine Feindanalyse ein.
Die vom russischen Ministerium für den Fernen Osten und die Arktis verfasste neue Strategie bezeichnet die Erschließung der Seewege als wichtig für »eine weltweit wettbewerbsfähige nationale russische Verkehrsverbindung«. Um Frachter durch das Eis zu bringen und den Transport von Öl und Gas von den Förderstellen zu sichern, werden auf russischen Werften derzeit vier neue Atomeisbrecher gebaut, die die bestehende Flotte verstärken.
Ein weiterer Eisbrecher, der nach dem sowjetischen Polarflieger Nikolai Papanin benannt wurde, ist mit Marschflugkörpern ausgerüstet und nur ein Beispiel dafür, wie Moskau seine arktischen Streitkräfte modernisiert und in Stellung bringt. Das wird der Nato wie dem Berliner Verteidigungsministerium gewiss als Rechtfertigung für eine weitere Militärpräsenz jenseits des Polarkreises dienen.
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