Die Krise als Aufbruch

Die Corona-Pandemie kann ein Startschuss in eine neue Klimapolitik sein, finden Ulrich Brand und Heinz Högelsberger

  • Ulrich Brand und Heinz Högelsberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir schreiben das Jahr 2030. Vor zehn Jahren lernte die Gesellschaft, dass sie im Kampf gegen den Coronavirus tagtäglich neue drastische Einschnitte und »Zwangsmaßnahmen« akzeptieren muss. Die Bewegungsfreiheit und der Gestaltungsspielraum der Menschen wurden extrem eingeschränkt, der Alltag musste umorganisiert werden. Flüge wurden eingestellt, Grenzen geschlossen. Statt zu shoppen, befassten die Menschen sich mit anderen Dingen. Die Arbeitslosigkeit stieg stark an. All das passierte in einer funktionierenden Demokratie und wurde von gewählten Regierungen verfügt.

Nicht alle Maßnahmen waren optimal. So wurde statt europäische Gegenstrategien zu entwickeln, nationalstaatlich agiert. Oft hatten die Innenminister mehr als die Gesundheitsminister zu sagen. Die gleichzeitig ablaufende Flüchtlingstragödie wurde gekonnt aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Den eingesperrten Geflüchteten in den Lagern wurde die als lebensnotwendig erachtete »soziale Distanzierung« schlicht verwehrt.

Viele Monate waren von großen Entbehrungen und Angst begleitet. Einige Politiker*innen hatten Gefallen am autoritären Regieren mittels Dekrete gefunden. Nach Ende der Krise hatten die Menschen einige Mühe, nicht nur das Leben zu normalisieren, sondern wieder ihre Freiheiten und Rechte zurückzuerlangen. Auch die aufgrund der Wirtschaftskrise angekündigte Schwächung von Umweltauflagen konnte verhindert werden. Dass Autofirmen teilweise auf die Produktion von Beatmungsgeräten umstellten, zeigte die Verschiebung der Prioritäten.

Doch wir sehen im Jahr 2030: Positive Erfahrungen könnten bleiben. Der Flugverkehr wurde auf ein erfreulich niedriges Niveau verringert, globale Güterketten teilweise regionalisiert, der Konsum deutlich reduziert. Nicht auf das Nötigste, sondern - so leuchtete es immer mehr Menschen ein - auf das Sinnvolle. Als Einsicht aufgrund der Krise setzte sich durch, nicht mehr auf möglichst viele und billige Produkte und Arbeitskräfte zuzugreifen oder den Wochenendausflug per Billigflug nach Berlin oder Mallorca cool zu finden. Die dringenden Maßnahmen für Kurzarbeit trafen sich mit den Wünschen vieler Menschen nach Arbeitszeitverkürzung. »Lokal und regional« ist heute, zehn Jahre nach der Coronakrise, längst nicht mehr nur ein Marketingspruch, sondern wurde zu persönlichen Erfahrungen, die nicht der Weltoffenheit entgegensteht.

Die anfangs umstrittene, dann durchgesetzte Forderung nach einem Grundeinkommen für Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren, wurde als positive Errungenschaft weitergeführt. Und zwar auf europäischer Ebene. Das dafür benötigte Steuergeld kam endlich von dort, wo es im Überfluss vorhanden war: von den Großkonzernen und Superreichen. Berufe, die bislang wenig geachtet und schlecht bezahlt waren, erhielten durch die Krise endlich die Wertschätzung, die ihnen zustand. Dazu gehörten der Pflegebereich, der Lebensmittelhandel, aber auch Paketzusteller*innen und Erntehelfer*innen.

Nach dem erfolgreichen Kampf gegen den Coronavirus wurden die Erfahrungen auf ein anderes, gefährliches und tödliches Phänomen übertragen: auf die Klimakrise. Spätestens seit 2019 war das Thema endgültig auf der politischen Tagesordnung. Bei Corona wurde völlig selbstverständlich auf Gebote und Verbote gesetzt, was sich die Politik beim Klimaschutz bis dahin niemand traute. Anreize, Bewusstseinsbildung und der Markt sollten es regeln - und versagten weitgehend. Mit Corona wurde denkbar, dass auch eine ernstzunehmende Klimapolitik durchaus streng sein kann und angesichts der Krise Restriktionen aussprechen muss. Produktion und Konsum wurden klimaschutzkonform, bestimmte Produkte und Branchen deutlich reduziert. Die damals selbst von Regierungen forcierte Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien war klimapolitisch von großer Bedeutung, weil damit langfristige und auf gesellschaftliche Bedürfnisse abgestimmte Planung möglich wurde und der Profitdruck auf die Unternehmen zurückging.

Eines machte die Corona-Pandemie deutlich: Wenn dringendes Handeln notwendig ist, überlässt niemand die Lösung des Problems dem »Markt«, sondern Regierung und öffentliche Hand müssen agieren. Allerdings unter demokratischen und transparenten Bedingungen. Und: Die daraus resultierenden Änderungen waren für die Durchschnittsbürger*in weit weniger dramatisch, als die Situation in der ersten Jahreshälfte 2020.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.