Die Sache mit dem Klopapier

Man muss davon ausgehen, dass die Beschäftigten der Medienbranche einen sehr sauberen Schiss haben

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 2 Min.

Inmitten des großen Shitstorms Corona, der alle Gewissheiten und Hoffnungen mit der Kraft von Tausend Lungen auszusaugen scheint, gibt es doch etwas, etwas Banales, das viele von uns staunen lässt, beinahe unschuldig, scheinbar wie zu alten Zeiten: dass es ausgerechnet Klopapier ist, das in den Supermärkten fehlt. Was für ein Bild! Was für ein Sinnbild! Am Montag hatte Jürgen Domian sogar eine Psychotherapeutin zur Erklärung dieses Mangels in seine Sendung eingeladen, die, soweit ich mich erinnern kann (was ich in diesen Tagen sehr schlecht kann), aber auch nicht so recht wusste. Zeitweilig war Klopapier sogar in den Top-Trends bei Twitter.

Seltsam stimmt einen daran, dass es doch irgendwer gekauft haben muss, das ganze Klopapier. Auf einmal aber will es niemand gewesen sein, wird sich distanziert: Ich? Klopapier? Seit Jahren nicht gesehen. Wozu braucht man das überhaupt? Klopapierkrise: wie kleinlich. Sowieso: wie deutsch!

Man muss also davon ausgehen, dass die Beschäftigten der Medienbranche allesamt einen sehr sauberen Schiss haben. Oder, dass sie, so wie einige Bürger*innen, im Klopapier einen Tröster für ihre Zukunftssorgen, in seiner Abwesenheit ein Ventil für jene lustvolle Verachtung des Kleinbürgerlichen gefunden haben, die erst einmal gar nicht schlecht sein muss, aber alleine selten zu etwas führt. Wenn Leute sehr viel mehr Klopapier kaufen, als sie brauchen, weil sie es anscheinend doch brauchen, und zwar im Kampf gegen einen Feind, dem mit Klopapier, anders als Corona, offenbar beizukommen ist, dann ist das verwerflich - aber, stellt euch mal vor, es soll andere geben, die Massen an Schutzkleidung und Desinfektionsmittel gekauft haben, um von den steigenden Preisen zu profitieren.

In einer Umgebung, die solches Verhalten, wenn denn ausnahmsweise keine Katastrophe bevorsteht, die den Egoismus sichtbar macht, der in ihm steckt, munter befördert und zur Nachahmung anempfiehlt, verwundert es, im Gegenteil, dass nur Klopapier fehlt. Dass die Leute nur Angst vor einem dreckigen Hintern haben (oder ihren leerausgehenden Nachbarn einen solchen wünschen) und nicht vor viel Schlimmerem. Dass ihre in all den Laboratorien des legitimen Diskurses antrainierte Scham sich nur auf das traditionell beschämteste Körperteil beschränkt und noch nicht alle anderen Bereiche befallen hat.

Und falls die eigenen Vorräte dann wirklich zur Neige gehen und Taschentücher und Zeitungen auch, kann man ja immer noch Nudeln verwenden. Kleiner Scherz. Den braucht man ja mitunter, dieser Tage.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.