Artenschutz als Prophylaxe

Intakte Ökosysteme reduzieren das Risiko neuer Seuchen.

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zerstörung natürlicher Lebensräume schreitet voran. In Brasilien hat sie sich unter Präsident Jair Bolsonaro weiter intensiviert. Laut der Wochenzeitung »Die Zeit« wurden in Brasilien 2019 über 9000 Quadratkilometer Regenwald gerodet, fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Dies birgt nicht nur für das Klima und die Artenvielfalt Gefahren: Veränderte Landnutzung führt oft zu häufigeren Kontakten mit Wildtieren. Damit steige die Gefahr von Zoonosen, also Krankheiten, die vom Tier zum Mensch überspringen. Nach Angaben des »Deutschen Ärzteblatts« stammen 60 bis 70 Prozent aller beim Menschen neu auftretenden Infektionen ursprünglich von Tieren. Zu den über 200 Zoonosen zählen Tollwut, Pest und Influenza, aber auch Ebola, Sars oder Mers.

Der stellvertretende Leiter der Abteilung Biozönoseforschung beim Helmholtzzentrum für Umweltforschung Leipzig, Josef Settele, publizierte schon vor zehn Jahren zu diesem Thema. Er ist nicht überrascht über das Auftreten neuer Krankheiten: »Die Arten, die bei einer Landumnutzung überleben, ändern ihr Verhalten und teilen sich in zunehmendem Maße Lebensräume mit anderen Tieren und dem Menschen. Auf diese Weise schafft die Menschheit die Bedingungen für die Ausbreitung von Krankheiten durch Reduzierung der natürlichen Barrieren zwischen Wirtstieren, in denen solche Viren natürlicherweise zirkulieren, und dem Menschen.«

So fand man den nächsten Verwandten des weltweit grassierenden Coronavirus Sars-CoV2 ursprünglich in Fledermäusen. Auch Ebola-, Marburg- oder der frühere Sars-Virus lebten ursprünglich in diesen Tieren. Was macht sie zu so guten Virenreservoirs? »Fledermäuse leben in riesigen Gruppen, und man nimmt an, dass neue Viren bei ihnen aufgrund ihres schnellen Stoffwechsels kein Fieber auslösen, da sie daran gewöhnt sind, hohe Körpertemperaturen zu regulieren. Ihre Fähigkeit zu fliegen erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, Viren weiter zu verteilen«, erklärt Sarah Zohdy von der Auburn University (US-Bundesstaat Alabama). Auch wüchsen aufgrund ihres düngenden Kots in der Nähe ihrer Kolonien üppige Pflanzen. Mit deren Früchten nehmen andere Tiere auch Erreger aus den Exkrementen der Flattertiere auf und werden so möglicherweise zu Zwischenwirten.

Unmittelbar von Fledermaus zu Mensch überspringen konnte der Sars-CoV2-Verwandte wohl nicht, wie eine im Fachblatt »Nature Medicine« erschienene Studie zeigt (DOI: 10.1038/ s41591-020-0820-9). Man vermutet, dass Pangoline, in China kulinarisch und auch als vermeintliches Potenzmittel begehrte Schuppentiere, ein Zwischenwirt des Virus gewesen sein könnten. Solche Tiere wurden auf dem Wildtiermarkt der südchinesischen Stadt Wuhan feilgeboten, wo die ersten Krankheitsfälle auftraten.

Diese Märkte stehen schon seit dem Sars-Ausbruch vor 18 Jahren in der Kritik. Damals nach kurzer Schließung wiedereröffnet, sind sie seit dem Aufkommen der Covid-19-Epidemie erneut verboten. »Dort werden lebende Tiere angeboten, oft verschiedenste Arten in Käfigen übereinander gestapelt - ideale Bedingungen für den Transfer sonst artspezifischer Viren auf andere Arten«, erklärt Joachim Spangenberg vom Sustainable Europe Research Institute Germany. »Werden die Tiere dann vor Ort geschlachtet und verkauft, können die Viren ihren Weg fort- und sich im Menschen festsetzen.« Zugleich befeuere die starke Nachfrage nach Wildtieren die Zerstörung ihrer Lebensräume.

Wie die Biologin Felicia Keesing vom US-amerikanischen Bard College fand, verschwinden offenbar zuerst die Arten, die einen Erregertransfer bremsen könnten. So wird Borreliose über Zecken vom eigentlichen Wirtstier auf den Menschen übertragen. Der häufigste Wirt der Zecken sei in den USA die Weißfußmaus, die auch artenarme, stark degradierte Wälder bevölkere. Das Virginia-Opossum hingegen, das die meisten seiner Zecken töte, komme dort nicht mehr vor, berichteten Keesing und ihr Team bereits 2010 im Fachjournal »Nature«. »Mit der Artenvielfalt verschwindet also der Wirt mit dem starken Puffereffekt - das Opossum, während der mit dem starken Ausbreitungseffekt - die Maus - bleibt«, resümieren sie.

Zohdy und ihre Kolleg*innen beleuchten in einer 2019 im Journal »Trends in Parasitology« (DOI: 10.1016/j.pt.2019.03.010) publizierten Studie einen koevolutionären Effekt: Danach begünstigt die Zerstückelung von Lebensräumen die Entstehung unterschiedlicher Virenstämme innerhalb isolierter Wildtierpopulationen. Dazu kommen die Globalisierung und die hohe Mobilität der Menschen. »Wir haben jetzt die Möglichkeit, Viren aus isolierten Wäldern über die menschliche Bevölkerung der ganzen Welt zu verteilen«, erklärt Zohdy.

Für Spangenberg ist der Schutz der natürlichen Artenvielfalt eine »essenzielle Komponente der Pandemie-Prophylaxe«. Keesing plädiert für die Erhaltung intakter Lebensräume, artgerechte Tierhaltung und genügend Abstand zwischen Nutz- und Wildtieren, da auch Massentierhaltungen günstige Konditionen für Zoonosen bieten. Letztlich seien nicht die Wildtiere schuld, sondern der Umgang der Menschen mit ihnen.

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