Der unaufhaltsame Dr. Spahn

Der Gesundheitsminister hat noch viel vor und ist ein Mann für alle Fälle, meint Leo Fischer

Alle Augen- und Ohrenärzte ruhen jetzt auf Spahn. Nein, Spaß: Die gesamte Republik hört und lauscht nun auf den stets leicht verwaschen wirkenden Ahauser, lässt sich von seinen perfekt desinfizierten Händen in Richtung Überleben leiten. Spahn, der sein politisches Engagement stets erfolgreich mit seinem Hauptberuf als IT- und Pharmalobbyist zu verbinden wusste und von Merkel vor allem deswegen ins Gesundheitsministerium weggelobt wurde, »damit der Bub beschäftigt ist«, gewinnt in diesen Tagen etwas unerhört Staatsmännisches. Fast möchte man sagen: Spahn ist erwachsen geworden, hat sich das letzte Grün hinter den Ohren wegradiert und ist jetzt bereit, das Zepter der Macht sicher zu führen.

Spahn wollte die Pille danach möglichst rezeptpflichtig halten, denn jeder Embryo hat das Recht, ins beste Gesundheitssystem der Welt hineingeboren zu werden. Spahn war für das Verbot von Abtreibungswerbung, denn schließlich können sich Babys vor der Geburt ja auch nicht informieren. Außerdem war dank Spahn und seiner konsequenten Ausdünnung der Versorgung im ländlichen Bereich der Weg zu den meisten Praxen eh viel zu weit. Gut erinnerlich noch sein Wunsch, in Cafés nicht auf Englisch bedient zu werden: »Wenn ich die Speisekarte nicht verstehe, bestelle ich statt meines Cappuccinos womöglich eine Abtreibung, das ist doch Wahnsinn.«

Spahn fand Hartz IV eine super Sache, bis ihm jemand vorschlug, doch mal einen Monat davon zu leben - mit einem so ernsten Thema mache man keine Witze. Sein Mann, Cheflobbyist bei Burda, sorgte dabei stets für perfekt ausgeleuchtete Homestorys, die hinter denen der britischen Royals nicht zurückzustecken brauchten.

Für jemand, der ursprünglich vorhatte, nur die üblichen Pflichtrunden im Kabinett zu drehen, um sich endgültig fürs obere Management zu qualifizieren, gewinnt Spahn derzeit in erstaunlichem Maß an politischem Profil. Vergessen die anonymen Versuche, die Hinweise auf die Firmen Celesio und DocMorris aus seinem Wikipedia-Eintrag zu löschen; vergessen seine Ideen zu Gesundheits-Apps und längeren Rettungswegen für Notärzte. »Wir gingen bisher davon aus, dass alles schon gut laufen würde und die Leute im Ernstfall viel Ingwertee trinken«, so Spahn. »Hätten wir gewusst, dass es so etwas wie Pandemien wirklich gibt, hätten wir natürlich vorgesorgt.«

Schon hat Spahn angedeutet, Menschen, die beatmet werden müssen, ins Heim stecken zu wollen: »Ich sage klar: Es gibt nicht genug Luft für alle.« Personen mit Beatmungsbedarf sollten sich zunächst eine App herunterladen, die von Spahns neuer Firma »myPandemic« entwickelt wurde. »Hier kann jeder Patient individuell feststellen, ob er wirklich so viel atmen muss, und Techniken entwickeln, wie die Atemfrequenz gesenkt werden kann, bis zum Stillstand. Kostet nichts und entlastet das System!« Ins Heim komme nur, wer die App nicht freiwillig herunterlädt.

»Für Extrawürste ist im Moment kein Geld da, genauso wenig wie für flächendeckende Coronatests. Glauben Sie, wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt erschaffen, indem wir Schecks ausstellen?« Vorerst scheiterte ein Vorstoß Spahns, sich Exekutivvollmachten der Kanzlerin, der Bundeswehr und des BND im Krisenfall zu überschreiben: »Die Leute werden sich wundern: Auch Soldaten können krank werden!«

Spahn versteht, dass die Leute Angst vor zu viel staatlichen Repressalien haben. Wenn demnächst Millionen Handydaten von deutschen Bürgern zur Pandemiekontrolle eingesammelt werden, will er deswegen zeitgleich interessante Burda-Medieninhalte auf die Geräte streamen: »Wir fordern etwas, geben, aber auch etwas zurück.« Danke, Dr. Spahn!

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