Die Hassgemeinschaft

Rechtsextremismusforscher Andreas Speit über rechte Attentate und den Einfluss digitaler Medien

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 6 Min.

Ihr aktueller Sammelband heißt »Rechte Egoshooter«. Das ist ein Begriff aus der Gamer-Szene. Was haben Computerspiele mit Attentaten wie in Halle oder Hanau zu tun?

In Halle hat der Attentäter Stephan Balliet seinen Anschlag live im Netz inszeniert. Weltweit sollten möglichst viele Menschen beim Morden zusehen können. Balliet spricht das Publikum auch im Jargon der Gamer-Szene an. In den von ihm veröffentlichen Dokumenten finden sich zudem Aufgabenstellungen, wie sie bei Computer-Spielen formuliert werden. In Hanau mordete der Attentäter ohne solche virtuellen Inszenierungen. Aber auch Tobias Rathjen hat über die digitalen Netzwerke sein Manifest verbreitet, war mit einem Blog online präsent. Die vermeintlichen Einzeltäter sind keine »einsamen Wölfe«, sondern in eine Hass-Community eingebunden, in ein »Wolfsrudel«, in dem alle hetzen und einer schießt.

Im Interview

Der Rechtsextremismusforscher Andreas Speit ist Sozialökonom und Autor in Hamburg. Er hat diverse Bücher zum Thema Rechtsextremismus und Rechtspopulismus veröffentlicht, unter anderem über die Identitäre Bewegung und die Reichsbürger. Zuletzt erschien von ihm und Jean-Philipp Baeck das Buch »Rechte Ego-Shooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat« (Ch. Links, 208 S., br., 18 €). Thomas Gesterkamp sprach mit Speit über die Radikalisierung im Netz.

Sind die digitalen Medien der Grund für die Häufung rechtsterroristischer Taten?

Sie sind für die extreme Rechte der wichtigste Kommunikationskanal. Zu keiner früheren Zeit konnte diese heterogene Szene ihre politischen Positionen so schnell, so günstig, so ungefiltert und so weit öffentlich streuen. So wird das gesellschaftliche Klima angeheizt, und auf Worte folgen Taten. Der Attentäter von Halle folgte mit seinen Bemühungen um einen Livestream dem Mörder von Christchurch, Brandon Tarrant. Die Szene inspiriert sich längst global.

Es gibt jetzt verschärfte Gesetze gegen Hasskriminalität im Netz. Führt ein direkter Weg »von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat«, wie es im Untertitel des Buches heißt?

Virtuelle Hetze kann eine Person zum realen Attentat motivieren, muss es aber nicht. Ein gesellschaftliches Klima, das Hass gegen Menschen zulässt und zu Gewalt gegen Angefeindete mehr oder weniger offen auffordert, ermutigt Attentäter. Von einem »direkten Weg« sprechen wir aber nicht, die Motive sind viel zu komplex.

Anders Breivik, der norwegische Massenmörder, aber auch Balliet haben parallel politische »Manifeste« online gestellt. Warum ist das den Tätern so wichtig?

Sie wollen zu Heroen werden und ein politisches Zeichen setzen. Breivik ist so ein Held und »das Vorbild«, weil er binnen kurzer Zeit 77 überwiegend junge Menschen ermordete. Am gleichen Tag, nur fünf Jahre später, am 22. Juli 2016, tötete David Sonboly in München neun Menschen mit Migrationshintergrund. Der Anschlag wurde aber erst 2019 offiziell als politisch motiviert eingeordnet. Er bildet in diesem Spektrum eine Ausnahme, ein Manifest veröffentlichte Sonboly nicht.

»Terror als Spiel« lautet die Überschrift eines Textes im Buch. Was ist damit gemeint?

Die Inszenierung des Terrors und ihr Kontext offenbaren einen neuen Tätertypus. Tarrant tötete im Livestream, seine Fans sollten ihn anfeuern, den »Highscore zu knacken« - also so viele Menschen wie möglich zu ermorden. Die neuen Rechtsterroristen, die ihre Anschläge im Internet vorbereiten und verbreiten, tauschen sich mit Gleichgesinnten international über Imageboards oder Chatprogramme aus, sie wollen zu weiteren Taten weltweit anregen.

Die männliche Form »Täter« ist mehr als berechtigt, denn es handelt sich nahezu immer um Männer. Warum?

Seit Jahren laufen Diskussionen über den Mann in der modernen Gesellschaft. Welche Rolle hat er, welche Männlichkeit soll gelebt werden, wie soll er als Partner oder Vater sein? In dieser Debatte, auch um die Rechtslage für Väter nach Scheidungen und Trennungen, haben sich einige Männer radikalisiert. Der gestiegene Anspruch von Frauen auf Gleichberechtigung bedeutet einen sinkenden Machteinfluss für Männer. Nicht alle sehen da eine Chance für sich. Björn Höcke hat dazu aufgerufen, dass wir »unsere Männlichkeit wiederentdecken« müssen. Weiße Männer sehen sich von »Fremden« in ihrer Macht und Teilhabe bedroht, und ebenso omnipräsent ist ihr Frauenhass.

Einige der Täter betrachten sich als »Incel«. Das ist die Kurzform für Involutary Celibate, also für unfreiwillig im Zölibat Lebende. Welche Rolle spielt der sexuelle Frust alleinstehender Männer?

Einzelne Aspekte wie psychologische Störungen oder sexuelle Frustration sollten nicht ausgeblendet, aber auch nicht überbewertet werden. Zu oft wird so die politische Motivlage verdrängt. Im Spektrum der Incel - und nicht nur dort - wird ein radikaler Antiislamismus, Antisemitismus und Antifeminismus vertreten, kombiniert mit Gewalt-, Vergewaltigungs- und Tötungsphantasien.

Ein Beitrag von Ihnen heißt »Der Jude und die Weiblichkeit - zwei alte Feindbilder«. Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Antisemitismus und Antifeminismus?

Schon in der Romantik finden sich Juden- und Frauenhass. Den Angefeindeten wurde eine vermeintliche Naturnähe angedichtet, Juden wie Frauen ein besonders starker Geschlechtstrieb unterstellt. Diese Verknüpfung findet sich auch bei Breivik oder Balliet. Der Feminismus sei verantwortlich für die geringen Geburtenraten der eigenen Bevölkerung, das führe dann zu einer »Masseneinwanderung«.

Zurück zu den »Egoshootern« am Computer. Die meisten Gamer können virtuelle und reale Welten sehr wohl unterscheiden, sie sind auch nicht gewalttätig. Wo liegen die Gefahren der »Killerspiele«?

Der pauschalen Gleichsetzung »Killerspieler gleich potenzieller Attentäter« widersprechen wir vehement. Das Schießen haben die Attentäter von Halle und Hanau im realen Leben geübt, bei der Bundeswehr und im Sportschützenverein. Die Gefahr liegt darin, dass in der Gaming-Szene menschenverachtende Einstellungen bloß als zugespitzte Provokationen wahrgenommen und so auch gesellschaftlich legitimiert werden. Die in bestimmten Spielen vermittelten Werte können jedoch zu einer Werteveränderung auch im realen Leben führen. Müssen nicht, können aber. Die Dauerpräsenz von Sexismus und Frauenhass im Digitalen kann sich auch im Analogen auswirken.

Was können Staatsanwaltschaften und die Polizei tun, um rechte Täter präventiv zu stoppen?

Der Vorwurf, dass Staatsanwaltschaft und Polizei auf dem rechten Auge blind seien, ist schnell erhoben; ebenso der, dass dort rechte Verbindungen bestehen. Die Vorfälle in Halle und Hanau offenbaren aber auch, dass die Sicherheitsorgane die Mörder kaum hätten stoppen können. Sie fielen zuvor nicht auf, da sie kaum bis gar nicht einschlägig agierten. Im direkten Umfeld der Attentäter wäre eine Sensibilisierung wichtig: dass in der Gamer-Community oder im Freundesumfeld früh erkannt wird, wenn sich da jemand verliert, wenn aus provokantem Spiel mit Menschenverachtung tödlicher Ernst wird. Die Polizei muss bei einem Hinweis auch technisch und politisch in der Lage sein, die Dimension schnell einordnen zu können. Mehr Fortbildungen zu Hatespeech und Internetstrategien sind geboten. Aber ein Restrisiko bleibt: Denn eine totale Überwachung - mal ausgeblendet ob dies im Digitalen überhaupt möglich ist - bedeutet eine totalitäre Gesellschaft.

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