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Noch bremst das Schelfeis
Eismassen vor den Kontinentalrändern der Antarktis bremsen den Fluss von Inlandeis ins Meer. Doch veränderte Winde und Meeresströmungen gefährden sie zunehmend.
Gewaltige Eismassen ragen aus dem Wasser und hinter der Küstenlinie empor. Es wehen strenge Winde, und die Temperaturen fallen im Winter, wenn es den ganzen Tag dunkel bleibt, auf der östlichen Hochebene auf bis zu minus 90 Grad Celsius. Die Antarktis ist einer der unwirtlichsten und unzugänglichsten Flecken der Erde. 200 Jahre nach ihrer »Entdeckung« widmet das Wissenschaftsmagazin »Science« dem südlichsten Kontinent eine Artikelserie.
Im Zentrum der Texte steht der drohende Eismasseverlust und ein damit verbundener weltweiter Anstieg des Meeresspiegels. Besonders stark schmilzt das Eis auf der Antarktischen Halbinsel. Dort ist die durchschnittliche Lufttemperatur laut Robin Bell von der Columbia University New York und Helene Serroussi vom California Institute of Technology in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um vier Grad gestiegen. 1995 kollabierte im Osten der Halbinsel der Eisschelf Larsen A, 2002 folgte Larsen B.
Als Schelfeis bezeichnet man massive, oft mehrere hundert Meter dicke Eisplatten, die vor der Küste auf dem Wasser schwimmen aber durch Gletscher noch mit dem Inlandeis verbunden sind. Ihnen kommt für die Stabilität der Eisschilde im Landesinnern eine Schlüsselrolle zu, da sie den Fluss der sie speisenden Gletscher ins Meer abbremsen.
Die Gründe für ihr Zusammenbrechen sind vielfältig. »Zu verstehen, wie Winde und Ozeanzirkulation das Zusammenspiel zwischen Eisschelfen und dem sie umgebenden Wasser steuern, ist essenziell, um die Zukunft des Antarktischen Inlandeises vorauszusagen«, betonen der Atmosphären- und Ozeanforscher David Holland und seine Kolleg*innen in ihrem Beitrag in »Science«.
Starke, Richtung See gerichtete Kontinentalwinde förderten die Bildung von Meereis vor dem Schelfeis. Das darunter liegende Wasser ist extrem salzig und hat damit eine höhere Dichte als gewöhnliches Meerwasser. So bildet es eine Barriere gegen das wärmere Tiefenwasser aus dem Zirkumpolarstrom (CDW), das das Schelfeis unten abzuschmelzen kann. Wehen die seewärtigen Winde dagegen nur schwach, gelingt es dem CDW in die Höhlungen unter dem Eis einzudringen. Änderungen der Offshore-Winde, vor allem eine Verstärkung der Westwinde und ihre Verlagerung nach Süden, bewirken zudem, dass das warme Tiefenwasser näher an die Oberfläche und das Festland herangeführt werden könne, so Holland.
Durch den Zusammenbruch der Eisschelfe an der Ostküste hat sich, laut Bell und Serroussi, die Geschwindigkeit der Gletscher auf der Antarktischen Halbinsel stark beschleunigt. Ähnlich verhält es sich an der Westantarktis, die ebenfalls deutlich an Masse verliert. »Die größten Veränderungen von allen Eis-Ozean-Systemen des Kontinents« erfährt, nach Einschätzung des belgischen Glaziologen Frank Pattyn und seines US-amerikanischen Kollegen Mathieu Morlighem, gegenwärtig der Thwaites Gletscher. Mit einer Fläche von rund 190.000 Quadratkilometern ist er etwa doppelt so groß wie Portugal und transportiert damit gewaltige Eismassen. »Der Thwaites Gletscher wird kaum mehr gestützt, da sein Eisschelf großteils instabil geworden ist. Mehrere Simulationen deuten auf einen weiteren Masseverlust hin«, erklären sie in dem Science-Dossier. Ein weiterer Rückzug könnte in der Zukunft den ganzen Gletscher destabilisieren, da auch das in der Westantarktis unter dem Meeresspiegel aufliegende Inlandeis an Stabilität verliere. »Einige Studien behaupten, dies sei bereits im Gange, aber wir haben noch zu wenig Beweise dafür, um das zu untermauern«, erklärt Pattyn. Ein völliger Kollaps des Riesen könne schon bis Ende diesen Jahrhunderts zu eine Meeresspiegelanstieg von mehreren Dezimetern führen und irreversible Prozesse für den gesamten Teilkontinent in Gang setzen.
Laut Angelika Humbert, Glaziologin am Helmholtz Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), begünstigt neben der Erwärmung von Atmosphäre und Ozean die Topographie der Westantarktis die derzeitige Entwicklung, in dem sie nach innen abfalle. »Damit zieht sich der Gletscher immer weiter ins Landesinnere zurück, da wo das Eis dicker ist, und beschleunigt sich«, erklärt sie. »So wird immer mehr Masse in den Ozean transportiert.« Das gilt auch für den Pine Island Gletscher, der wie der Thwaites Gletscher in die Amundsensee mündet: Bell und Serroussi zufolge hat sich seine Fließgeschwindigkeit von 1990 bis 2010 verdoppelt und die Zone, an der er den Kontakt mit dem Felsboden verliert und auf dem Wasser zu schwimmen beginnt, um 30 Kilometer landeinwärts verlagert.
Laut Humbert spielt für die Fließgeschwindigkeit der Untergrund der Gletscher eine zentrale Rolle: »Dies ist (jedoch) noch sehr schlecht verstanden, da wir dort unten keine Messungen machen können, weil so viel Eis darüber liegt«, erklärt die Glaziologin. Dort vorhandenes Wasser könne den Eisfluss erhöhen, da es wie ein Schmierfilm wirke.
Anders als Halbinsel und Westen des Kontinents scheint die Ostantarktis, laut Humbert, bislang noch stabil und puffert durch Schneefall auf seine riesige Fläche sogar einen Teil des Masseverlusts der Westantarktis ab. »Die Rückzugsdynamik der Gletscher befindet sich hier noch am Anfang«, erklärt sie. Auch die Eisschelfe seien hier noch weitgehend intakt. Ein schnellerer und dramatischerer Eisverlust kann jedoch auch hier für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden.
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