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Virus und Reichtum

Die Coronakrise kostet Milliarden. Wer zahlt?

Die Bewältigung der Coronakrise wird teuer. Die Virusbekämpfung kostet Geld, Unternehmen und Beschäftigte brauchen Unterstützung, Produktionsstopps und Geschäftsschließungen lassen die Wirtschaftsleistung und damit das Steueraufkommen einbrechen. Kurzfristig springt die öffentliche Hand in die Bresche: Über Verschuldung kompensiert sie derzeit den Rückgang der Einnahmen. Doch verschiebt sie damit die Frage »Wer zahlt?« nur in die Zukunft. Wie könnte eine Antwort aussehen?

Schulden: Der deutsche Staat hat Schulden von etwa 2100 Milliarden Euro. Laut Commerzbank können durch Corona weitere 400 Milliarden hinzukommen. Noch ist das kein Problem, denn die Bundesregierung muss auf neue Kredite derzeit keine Zinsen zahlen. Solange die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen unten hält, droht also keine Gefahr. Irgendwann jedoch könnten die Zinsen wieder steigen. Was dann?

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Die Bundesregierung könnte darauf hoffen, dass die Wirtschaftsleistung in den nächsten Jahren stark steigt und sich dadurch das Verhältnis von Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt stetig verbessert. Doch sehr wahrscheinlich ist das nicht. Eine weitere Möglichkeit: Die EZB kauft große Teile der Staatsschulden der Euro-Länder auf und legt sie still. Das wäre billig - doch die volkswirtschaftlichen Folgen sind unklar. Einige Ökonomen warnen für diesen Fall vor Inflation. Alternativ kann die Bundesregierung versuchen, sich das für die Krisenbekämpfung ausgegebene Geld zurückzuholen. Zum Beispiel durch Sparprogramme beim Sozialen. Oder durch Vermögensteuern, also durch Zugriff auf den Reichtum. Denn der ist enorm - und enorm ungleich verteilt.

Vermögen: Den Staatsschulden stehen private Vermögen gegenüber. Laut Bundesbank wuchs allein das Finanzvermögen der deutschen Haushalte - Bargeld, Bankeinlagen, Wertpapiere und Ansprüche an Versicherungen, ohne Immobilien - 2019 auf 6300 Milliarden Euro, also das Dreifache der Staatsschuld. Das Gesamtvermögen beziffert der Global Wealth Report der Schweizer Bank Credit Suisse auf umgerechnet rund 13 600 Milliarden Euro.

Eine Ökonomengruppe um Moritz Schularick von der Universität Bonn kommt auf noch höhere Summen. Denn das deutsche Betriebsvermögen werde in offiziellen Statistiken um nahezu zwei Billionen Euro zu niedrig bewertet. Ebenfalls unterschätzt werde das Immobilienvermögen. »Wir schätzen, dass das gesamte deutsche Betriebsvermögen im Jahr 2018 etwa vier und das Immobilienvermögen mehr als neun Billionen Euro betrug. Mit anderen Worten: Deutschland ist weitaus reicher als offizielle Statistiken glauben lassen.«

Verteilung: Das Vermögen ist stark bei den oberen zehn Prozent der Haushalte konzentriert. Allein das reichste ein Prozent hält laut Schularick knapp ein Viertel des Gesamtvermögens. Die reichsten Haushalte verfügen zudem über fast das gesamte Betriebsvermögen, das sich seit 1993 verdoppelt habe. Ihnen floss so der Löwenanteil an den Kapitalgewinnen zu, zum Beispiel an den Dividenden, die 2018 auf den Rekord von 49 Milliarden Euro kletterten. An der unteren Hälfte in Sachen Vermögen sei dagegen der Boom an den Immobilien- und Finanzmärkten vorbeigegangen. Folge: Seit 1993 habe sich der Anteil der unteren 50 Prozent der Haushalte am Gesamtvermögen nahezu halbiert auf unter drei Prozent. »War im Jahr 1993 das Durchschnittsvermögen der reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte noch 50 Mal größer als in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung, so ist es inzwischen auf das 100-fache gestiegen.«

Betriebe: Der Absturz an den Aktienmärkten und die Warnungen vor einer Rezession erwecken den Eindruck, die deutsche Wirtschaft stünde vor dem Ruin. Doch betrifft die aktuelle Krise die Unternehmen sehr unterschiedlich. Restaurants, Reiseveranstaltern, kleinen Handwerksbetrieben oder Geschäften entgehen durch den Lockdown Einnahmen, die sie nie wieder aufholen können. Anders bei großen Konzernen. Sie verkaufen weltweit, ihre Produktion ist flexibel. Ausgefallene Umsätze können sie später durch Mehrabsatz wieder ausgleichen. Einige profitieren sogar von der aktuellen Situation. So sieht das Management von Bayer derzeit in vielen Bereichen »eine sprunghaft gestiegene Nachfrage«.

Ein Blick auf die Analysten-Schätzungen für die großen deutschen Konzerne im Gesamtjahr 2020 zeigt bislang nur geringe Umsatzeinbußen. Meist handelt es sich um Stagnation, zum Beispiel bei Fielmann, Metro, Linde oder Hugo Boss. Auch für Adidas wird ein gleich bleibender Umsatz erwartet und ein Nachsteuergewinn, der zwar um zwei Prozent fällt, aber immer noch 1,7 Milliarden Euro beträgt. Bei Beiersdorf dagegen gibt es weiteres Wachstum von Einnahmen und Gewinn, nur dass die Steigerung nicht so hoch ausfällt wie gedacht. Höhere Umsätze als 2019 sind für Siemens Healthcare, SAP, Telekom und Eon prognostiziert. Härter trifft es wohl die Autobauer. Doch dürfte bei BMW der Vorsteuergewinn bloß um zehn Prozent sinken. Bei VW könnte das Minus fast 20 Prozent betragen - aber dann wäre der Gewinn immerhin so groß wie 2018. Bei diesen Schätzungen vorausgesetzt ist, dass sich die Lage ab Sommer wieder normalisiert.

Immobilien: Hauseigentümer müssen wohl nicht um ihr Vermögen fürchten. Zwar werden sie »im aktuellen Umfeld keine höheren Preise oder Mieten fordern, sondern froh sein, wenn sie das aktuelle Niveau weitgehend halten können«, so die DZ Bank. Allerdings seien Wohnungen vielerorts knapp. »Die Chancen sind durchaus gut, dass der Immobilienmarkt die Krise vergleichsweise robust durchsteht.« Bei Büroimmobilien erwartet die Deutsche Bank, dass sie »tendenziell von der Flucht in Sicherheit profitieren«. Daher haben die großen Immobilienkonzerne derzeit kaum Probleme. Das Geschäft von Vonovia, dem größten deutschen Wohnimmobilienunternehmen, »sollte insgesamt relativ unbeeinflusst von der Corona-Situation verlaufen«, erwartet die DZ Bank. Die Deutsche Wohnen kürze zwar die versprochene Dividende je Aktie auf 0,90 Euro, damit läge sie aber immer noch höher als 2018 (0,87 Euro). Für 2020 rechnet die DZ Bank wieder mit 0,98 Euro.

Von daher ist es kein Wunder, dass vielfach gefordert wird, die Vermieter sollten über Mietverzicht oder -stundung an den Krisenkosten beteiligt werden. Denn es »ist schwerlich zu begründen, dass allein die Mieter eines Gewerbes das Risiko der Coronakrise tragen sollen, während die Vermieter über staatliche Hilfsprogramme in voller Höhe entlastet werden«, so Ökonom Leo Kaas. Zudem sind Hauseigentümer in privilegierter Position. Denn »sie sind die einzigen, die sich sicher sein können, dass sie am Ende noch über einen Vermögenswert verfügen - das kann derzeit kein anderer Sektor«, so Richard Murphy, Ökonom an der City University in London.

Vermögensabgabe: In der SPD wie auch in der Linkspartei werden Forderungen nach höheren Vermögensteuern oder einer Vermögensabgabe laut, ähnlich zum »Lastenausgleich«. Er wurde in der Bundesrepublik ab 1952 für die Kriegsfolgen erhoben und bis 1979 in vierteljährlichen Raten von den Betroffenen gezahlt. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die Vermögensabgabe eine Steuer, zu der Eigentümer größerer Vermögen verpflichtet werden können, um eine finanzielle Notlage des Staates zu überbrücken. Im Unterschied zur jährlichen Vermögensteuer werde sie nur einmalig auf den aktuellen Vermögensbestand erhoben - Vermögende können also nicht vor ihr ins Ausland fliehen.

Da laut DIW die steuerlich erfassbaren Vermögen stark auf die oberen zehn Prozent der Bevölkerung konzentriert sind, könne eine Abgabe auch dann viel Einnahmen erzielen, wenn der Großteil der Bevölkerung durch hohe Freibeträge freigestellt werde. Bereits 2011 berechnete das Institut: Bei einem persönlichen Freibetrag von 250 000 Euro (Ehepaare 500 000 Euro), einem Kinderfreibetrag von 100 000 Euro sowie einem gesonderten Freibetrag für Unternehmensvermögen und wesentliche Beteiligungen von fünf Millionen Euro ergibt sich eine steuerliche Bemessungsgrundlage von 2,3 Billionen Euro Netto-Vermögen. Eine Abgabe von zehn Prozent könnte somit rund 230 Milliarden Euro mobilisieren. Betroffen wären nur die reichsten acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Die Vermögensteuer trüge damit dazu bei, die Ungleichverteilung etwas zu mildern. Der Lastenausgleich ab 1952, so Schularick, »machte Deutschland zu einem der egalitärsten Länder in der frühen Phase des Nachkriegsbooms«.

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