Die Botschaft der Masken

Was wollen uns Menschen mit halb verhüllten Gesichtern sagen?

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 5 Min.

Menschen tragen in diesen Tagen Atemschutzmasken, weil sie glauben, sich damit vor einer Ansteckung schützen zu können. Dabei wird viel durcheinandergeworfen. Sogenannte FFP3-Masken wären der höchste Standard, sie halten nicht nur feinste Feinstäube, sondern auch alle möglichen in der Luft enthaltenen Erreger ab. Gebraucht werden sie dort, wo Menschen keinen Sicherheitsabstand einhalten können, wo sie mit hochgefährlichen Viren oder Bakterien rechnen müssen.

Für einen täglichen Weg von A nach B, vor allem im Freien, ergibt das keinen Sinn, weil Aerosole in der Luft, die den Covid19-Erreger in sich tragen könnten, nur einige Minuten stabil sind. Die meisten (jetzt in der Regel vergeblich) nachgefragten Maskentypen sind technisch nötig gegen Rauch oder Feinstaub in Arbeitsprozessen. Andere sind sinnvoll im Operationssaal - zum Schutz der geöffneten Körper von Operierten vor Nasensekret und Spucketröpfchen der Chirurgen. Im Alltagsgebrauch, um sich gegen Viren und andere Erreger aus der Luft zu schützen, sind sie ziemlich nutzlos, weil sie einfach nicht dicht genug sind. Trotzdem: Das Robert-Koch-Institut empfiehlt sie jetzt, weil die Menschen damit ihr Gegenüber schützen sollen - und so indirekt sich selbst.

Noch scheint die Zahl von Personen mit Atemschutzmasken stark zu variieren. In öffentlichen Verkehrsmitteln und Supermärkten scheint sie zuzunehmen, im Freien bleibt der Anblick noch selten. Nun scheint dieser Gegenstand aber immer mehr neue Eigenschaften auf sich zu ziehen. In der Debatte um eine allgemeine Maskenpflicht wird das Utensil zum Vehikel, das erfolgreiche politische Aktivität suggeriert.

Schutz und Verhüllung des Gesichts waren aus etlichen Gründen in der menschlichen Geschichte häufig angesagt: Es gab Gasmasken in Kriegen oder die venezianischen Halbmasken, die hedonistischen Adligen eine Möglichkeit anonymer Lust in der Ballsaison oder zur diskreten Teilnahme am Glücksspiel verschafften. Die Geschichte des Theaters ist zu großen Teilen auch eine Geschichte der Masken: Von den typisierten Darstellungen in der Antike bis hin zu Bajazzo und Harlekin in der Commedia dell’arte, im japanischen No-Theater oder in der chinesischen Oper. Auch Ärzte trugen Schutzmasken schon vor Jahrhunderten, damals solche aus Leder, teils sogar versehen mit Kräutern, deren Aromen das Arbeiten in stinkenden Städten des Mittelalters erleichterten.

Im regionalen Brauchtum des Alpenraums lebt der Geisterglauben aus Vorzeiten regelmäßig wieder auf, wenn zur Winterwende diverse Gruppen von maskierten Teufeln, Narren oder wilden Leuten umgehen. Seit Beginn der Menschheitsgeschichte tragen Schamanen Masken - als Teil ihrer Verwandlung in übermächtige, oft tierische Gottheiten. Die Maske trug zur Verkörperung wie auch zur Abschreckung der Geister bei. Sie verlieh symbolisch Macht über andere Menschen.

Was bedeutet es aktuell, wenn Atemschutzmasken in der Öffentlichkeit, bislang aus individueller Entscheidung, getragen werden? Was wollen die Träger*innen uns mitteilen? Gehören sie zur Gruppe jener Infizierten, die analog zu ostasiatischem Gebrauch ihre persönlichen Viren nicht in die Welt hinaushusten und -niesen wollen? Oder wollen sie uns etwas anderes sagen? Vielleicht: »Ich bin wichtig. Meine Bedeutung ist so groß, dass ich meine Gesundheit besonders schützen muss.« Was dabei mitspielt, ist das Image der Masken: die gerade verstärkt öffentlich gefeierte Heldenhaftigkeit der Menschen in Gesundheitsberufen. Die tragen auch Masken, aber andere als die Menschen, die man auf der Straße sieht. Eine weitere simple Botschaft könnte sein: »Ich bin clever. Deshalb habe ich auch noch Atemschutzmasken abbekommen, ihr aber nicht.«

Sobald der maskentragende Mensch nicht mehr richtig zu erkennen ist, verwandelt er sich in die archetypischen Muster, die die Maske hervorbringt. Ist eine Atemschutzmaske schon ein Archetyp - oder wird sie es gerade? Die Maske entfaltet ihre Magie vielleicht auch für den Träger: »Ich verstecke mich, ich bin jemand anders, ich kann mich nicht anstecken.« Sie gibt einen psychologischen, aber keinen realen Schutz.

Zugleich macht sie den Träger oder die Trägerin sichtbarer, vielleicht anders als beabsichtigt. Hinter der Maske steckt ein verletzlicher Mensch, der verzweifelt Schutz sucht: »Ich habe Angst.«

Manche haben so große Angst, dass sie damit anscheinend nur umgehen können, wenn sie versuchen, auch anderen Angst einzujagen. So knüpft die heutige Atemschutzmaske an die heroische Symbolik aller anonymen Helden an. Die Linie führt über Zorro und ähnliche Räuber bis nach Chiapas oder zum »Schwarzen Block« in Demonstrationen. Das allgemeine Vermummungsverbot ist aufgehoben, schon wird gar eine Vermummungspflicht erwogen.

Nehmen wir den Begriff der »Charaktermaske« aus der marxistischen Soziologie, als Bezeichnung für den entfremdeten Menschen im Kapitalismus. Welche Rolle wird ihm - auch mittels Atemschutzmaske - in den nun noch einmal ganz neu krisenhaften ökonomischen Verhältnissen zugewiesen? Dem von der Pandemie Bedrohten, der von seiner Gesundheit schon lange systematisch Entfremdete - der sich irrtümlich noch immer geschützt fühlt? Die Maske, auch die Charaktermaske, eröffnet neue Spielräume und einen anderen Blick auf die Verhältnisse.

Aber wie fühlt es sich nun tatsächlich unter der Maske an? Man schwitzt schnell, sie stört, reflexhaft will man sie abstreifen. Eventuell vorhandene Brillengläser laufen an, die nunmehr gedämpfte Stimme wird nicht mehr richtig verstanden. Um zu einem rationalen, praktischen Umgang mit dem Hilfsmittel zurückzukommen: Masken sollten in der Öffentlichkeit nur getragen werden, um anderen zu signalisieren: Wir haben eine Pandemie. Masken sind Fremdschutz, nicht Selbstschutz. Das ändert sich auch nicht, wenn es plötzlich eine Maskenpflicht an bestimmten Orten oder in bestimmten Ländern gibt. Wer das Utensil im Gesicht trägt, will bestenfalls höflich mitteilen: »Ich weiß zwar nicht, ob ich ansteckend bin. Falls ich es bin, will ich euch vor der Ansteckung schützen.«

Masken in der Öffentlichkeit sollten Marke Eigenbau sein, um die üblichen Beschaffungswege zu entlasten. Jede Menge Anleitungen dazu finden sich im Internet. Um auf die Maskenvorgeschichte zurückzukommen: Die Schutzkonstrukte könnten dann auch kreativ und witzig sein.

Eine gute Anleitung zum Selbermachen von Masken (aufgeschrieben von der Feuerwehr der Stadt Essen) findet man hier:

https://bit.ly/34bXCNh

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.