Harte Hungerkur: Kranich & Co müssen abspecken
Lufthansa reduziert vorsorglich seine Flotten und beerdigt Germanwings - weltweit sind 65 Millionen Jobs in der Luftfahrtbranche in Gefahr
Vielflieger wissen, wie eng getaktet der Flugbetrieb normalerweise läuft. Zwischen Ankommen und Abflug eines Flugzeuges bleiben meist nur wenige Minuten. In den aktuellen Corona-Krisenzeiten stehen die meisten Maschinen fast aller Airlines kilometerlang auf Abstellflächen herum. Wann immer die Pandemie überstanden sein wird, der Flugbetrieb wird nicht so rasch wieder Profite abwerfen.
Der Lufthansa-Konzern will daher bereits jetzt mit der Reduzierung seiner Flotten beginnen. Betroffen sind neben der deutschen Muttergesellschaft auch die Töchter in Belgien, Österreich, Italien und der Schweiz. Ganz vom Himmel verschwinden soll die 1996 gegründet Marke Germanwings, die seit Oktober 2015 im Billigsegment der Lufthansa-Tochter Eurowings fliegt. Auch wenn betroffene Gewerkschaften das anders sehen und nun zu Recht für die bei Germanwings Beschäftigten kämpfen - dass die Gesellschaft abgewickelt wird, war bereits vor der Coronakrise ausgemacht.
Insgesamt verfügt der Lufthansa-Konzern aktuell über rund 760 Maschinen. Nun wird kräftig abgespeckt. Erst einmal um zehn Prozent. Die Marke Lufthansa, deren Maschinen einen Kranich am Leitwerk haben, soll knapp 30 Flugzeuge der Typen A 380, A 340-600, Boeing 747-400 sowie A 320 aussondern. Drei weitere gehen bei Lufthansa Cityline außer Dienst. Eurowings muss nach der aktuellen Krise mit zehn A 320 weniger auskommen.
Bei der LH-Tochter Brussels Airlines finden bereits seit dem 21. März keine Flüge mehr statt. Die Auszeit soll mindestens bis zum 20. April anhalten. Wie der TV-Sender LN24 Ende vergangener Woche berichtete, diskutiert eine Gruppe von Experten der Nationalbank Belgiens sowie anderer Geldinstitute über Rettungsplänen. Dabei zieht man sogar die Idee einer Rückverstaatlichung der Airline in Betracht. Das hat auch damit zu tun, dass Brussels bereits vor der Pandemie finanziell angeschlagen war. Sie flog 2019 einen Verlust von 40,6 Millionen Euro ein. Selbst die profitabelste LH-Tochter Swiss muss ihre Flotte anpassen. Noch hofft man, das durch eine verzögerte Auslieferung von bestellten Kurz- und Mittelstreckenmaschinen sowie über eine vorgezogene Ausmusterung älterer Flugzeuge zu erreichen. Zwei A 319 sind bereits ausgemustert worden.
Dass diese Strategie, die auch wirklich große Gesellschaften in Betracht ziehen, weder den Flugzeugbauern bei Airbus noch denen bei Boeing gefallen kann, ist klar. Zumal der US-Konzern ohnehin wegen Sicherheitsproblemen mit seiner 737-MAX-Generation in der Kreide steht.
Lufthansa-Anhängsel Austrian (AUA), die ihren reguläre Flugbetrieb bis 3. Mai ausgesetzt hat, suchte bei der Regierung in Wien um eine Staatshilfe von 500 Millionen Euro nach. Zugleich schickte man rund 7000 Beschäftigten in Kurzarbeit. Doch angesichts von geplanten Restriktionslockerungen in Österreich gehen die AUA-Chefs davon aus, dass die Nachfrage im Sommer 2020 wieder steigt. Allerdings auf maximal 25 bis 50 Prozent im Vergleich zu 2019. Trifft das zu, könne man dennoch frühestens 2023 mit einem Auftragsvolumen wie vor der Pandemie rechnen. Ziel sei es, »so viele Flugverbindungen und so viele Arbeitsplatze wie möglich zu erhalten«, sagt Austrian-Chef Alexis von Hoensbroech. Auch das Drehkreuz am Flughafen Wien soll bleiben. »Was immer nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen, werden wir tun«, versprach von Hoensbroech.
Auch die deutschen Airports vermelden Negativrekorde. Der Rückgang der Passagierzahlen liegt bei 94,9 Prozent. Die Hungertour der an sich insgesamt liquiden Lufthansa-Gruppe wird bleibende Schäden bei den Flughäfen hinterlassen. Doch sie ist aus Sicht der Lufthansa-Bosse notwendig, will man erfolgreich mit Regierungen und Banken in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Belgien verhandeln. Klar ist dabei, dass mögliche Staatshilfen - je nach Ausgestaltung - auch noch ein Okay der EU-Kommission benötigen.
Insgesamt befürchtet die Luftfahrtbranche weltweit den Verlust von 25 Millionen Jobs. Der Lebensunterhalt von rund 65,5 Millionen Menschen hängt von Fluggesellschaften ab. Ein Großteil davon betreffe benachbarte Branchen wie die Tourismusindustrie, teilte der Weltluftfahrtverband IATA mit und rät den Staaten zu rascher Hilfe. Denn sollten die starken Reisebeschränkungen nur drei Monate lang anhalten, seien mehr als ein Drittel dieser Arbeitsplätze in Gefahr. Laut IATA müsse man in Europa mit 5,6 Millionen bedrohten Jobs rechnen. Besonders hart würde es aber die asiatisch-pazifische Region treffen. Hier geht es um rund 11,2 Millionen Arbeitsplätze.
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