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Gemeinsam einsam

Tristes Porträt der Brandenburger Provinz oder Loblied auf die Freundschaft? Die RBB-Serie »Warten auf’n Bus«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Social distancing, das wird uns von staats- und gesundheitswegen zurzeit ständig eingebimst - social distancing ist die Kunst, sich nah zu kommen und dennoch fern zu bleiben oder umgekehrt. Eine Art herzlicher Berührungsabstand, den - Achtung Klischee - drei Gruppen besonders dann gut beherrschen, wenn sie deckungsgleich sind: Männer, Dorfbewohner, Brandenburger. Wenn zwei Männer Mitte 40 inmitten verblühter Landschaften lautstark übers Leben, die Liebe, den Rest philosophieren und dabei räumlich wie emotional stets 1,5 Meter soziale Distanz wahren, könnte das Fernsehen dafür also keinen besseren Ort finden als irgendwo im Nirgendwo der ostdeutschen Provinz.

Wo der Bus (wenn überhaupt) zweimal täglich am Wartehäuschen hält, aber trotzdem das größte Abenteuer im Leben langzeitarbeitsloser Wendeverlierer ist, spielt daher eine Serienfiktion, die unfreiwillig zum quälend wahrhaftigen Sinnbild unserer kontaktgestörten Zeit wurde. Am Mittwoch in der ARD-Mediathek und später beim verantwortlichen RBB im Nachtprogramm, sitzen die zwei verlotterten Prachtexemplare herum und »warten auf’n Bus«, wie die Serie im Dritten heißt, die nahtlos an die Perlenketten von »Hindafing« (BR) über »Jennifer« (NDR) bis »LottoKönige« (WDR) anknüpft.

Warten. Quatschen. Warten. Schweigen. Warten. Zeit totschlagen. Warten und dabei mit jedem Problem konfrontiert werden, das der westdeutsch geprägte Zeitgeist dem realsozialistisch sozialisierten unterjubelt. So kriegen es Ralf und Hannes - mit autobiografischer Perfektion verkörpert von den Ostberlinern Felix Kramer und Ronald Zehrfeld - tagein tagaus mit Ödnis und Armut, Nazis und Trägheit, Frauenmangel und Männergewalt, mieser Laune und noch mieserem Handyempfang zu tun. Rainald Grebe, Komponist der Hassliebeshymne »Brandenburg«, dürfte sich in dieser Version seiner Wahlheimat bestätigt sehen.

Allerdings nur, weil Regisseur Dirk Kummer seine Protagonisten keine der 240 Minuten vorführt, geschweige denn lächerlich macht. Im Gegenteil: Vom ernteunfallversehrten Hannes bis zum gefallenen Diplom-Ingenieur Ralf behalten hier selbst jene ihre Würde, die sie anderen nicht zubilligen. Im Grunde geht es acht Teile lang aber gar nicht so sehr ums Überleben in einem von fünf Bundesländern, die jenseits der Speckgürtel den Anschluss an Wohlstand, Demokratie und Optimismus verlieren. Es geht um Freundschaft.

Freundschaft, die sich wenig um Konventionen schert. Die den Abstand wahrt und zugleich berührt. Die ihre Zärtlichkeit nicht aus emotionaler, gar physischer Nähe gewinnt, sondern dem Bewusstsein einer Schicksalsgemeinschaft, in der man halt niemanden zurücklässt. Wenn der alleinstehende Pfandsammler Ralf seinen Leidensgenossen Hannes als »Mischung aus Betonmischer und Schlachteplatte« bezeichnet, mag das also passiv aggressiv wirken; die rauen Worte verbergen eine Art Respekt, den Städter oft im Barbershop vergessen. Wo Eitelkeiten zügig den Kampf mit Hartz 4 verlieren, herrscht halt oft entwaffnende Aufrichtigkeit - wenngleich sie selten Anlass zur Zuversicht liefert. Der Titel dieses Haltestellenkammerspiels erinnert ja nicht zufällig an Becketts »Warten auf Godot«.

»Wer ‘ne Weile unter der Armutsgrenze lebt, wird angstsüchtig, nervös, selbstsüchtig«, meint Hannes zu Ralf, als beide mal für zehn Euro die Stunde bar Bienen auswildern, »wir gehen nicht unter, weil wir egoman sind, sondern werden egoman, weil wir untergehen.« Bei so viel Selbstreflexion unter Abgehängten knistert zwar Oliver Bukowskis Drehbuchpapier; doch wenn dazu die Steel-Guitar durch Jim Jarmuschs zivilisationsentrückte Westernästhetik weht, in der sich die lebenswunden, lebensklugen Loser nichts sehnlicher wünschen als ein Lächeln von Katrin, dürfen reale Kunstwelten gern am Schreibtisch entstehen. Sie machen uns den sozialen Abstand dieser Tage ein wenig erträglicher.

Am Mittwoch um 18 Uhr in der ARD-Mediathek, 22 Uhr im RBB.

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