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»Gute Aktionsformen sind mit Infektionsschutz vereinbar«
Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin ringt um die Einschränkung des Versammlungsrechts in Coronazeiten
Wie demonstriert man unter den Bedingungen einer Pandemie? Diese Frage stellen sich zurzeit wohl viele Aktivist*innen. Anfang April wollte die »Seebrücke« eine Antwort geben: Um auf die dramatische Lage von Geflüchteten in Griechenland aufmerksam zu machen, sollte man Schuhe vorm Brandenburger Tor ablegen – mit Sicherheitsabstand und -ausrüstung. Die Polizei versuchte, das zu verhindern (»nd« berichtete).
Rechtlich ist die Situation klar: Im ersten Absatz des ersten Paragrafen der Verordnung zum Coronavirus wird festgehalten, dass Versammlungen derzeit nicht stattfinden dürfen. »Grund hierfür ist allein das mit der Gruppierung von Menschen verbundene erhöhte Infektionsrisiko«, rechtfertigt das Martin Pallgen, Sprecher von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). Absatz sieben ergänzt, dass es Ausnahmen geben kann, wenn nicht mehr als 20 Personen teilnehmen und Maßnahmen zum Infektionsschutz eingehalten werden. Ob dies bei einer Versammlung gegeben ist, bewerte das zuständige Gesundheitsamt, so Pallgen.
»Die Verordnung ist verfassungsrechtlich zulässig«, sagt Frank Zimmermann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, »nd«. Es sei eine Abwägung von Grundrechten, um den Virus einzudämmen, und »unvermeidlich«.
Ausnahmen werden angeblich auch gewährt, ihr Stattfinden ist aber häufig ungewiss. Die Versammlungsbehörde genehmigte eine Kundgebung gegen die Corona-Verordnung auf dem Alexanderplatz mit zwei Personen und eine Kundgebung gegen Kriegsgerät am 7. April vor dem Bundeskanzleramt, teilt die Polizei auf Anfrage mit. Vergangenes Wochenende unterbanden die Sicherheitsbehörden erneut eine Versammlung von Verschwörungstheoretiker*innen am Rosa-Luxemburg-Platz. Auch eine Demonstration in Solidarität mit der linken Kneipe »Syndikat« wurde am Ende wieder verboten. Insgesamt seien seit Inkrafttreten der Verordnung elf Anträge auf eine Ausnahmezulassung von der Polizei abgewiesen worden, so die Behörde.
Das kritisiert die Linkspartei: »Es gibt Aktionsformen, die mit dem Infektionsschutz vereinbar sind«, stellt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, fest. Ein Beispiel sei die Aktion der »Seebrücke«. Seine Kritik habe er auch schon dem Innensenator Andreas Geisel (SPD) mitgeteilt. Dessen Verwaltung möchte sich zu konkreten Vorhaben noch nicht äußern: »In dieser Woche werden Bund und Länder über die entsprechenden Fragen sprechen und eine Entscheidung treffen«, so Sprecher Pallgen am Dienstag. Zuvor solle man nicht über mögliche Anpassungen spekulieren.
Lösen ließe sich das Problem durch die Änderung der Verordnung: »Da müssen wir nachbessern«, findet der Abgeordnete Schrader. Er wünscht sich, dass Versammlungen grundsätzlich wieder zugelassen werden, wenn die nötigen Schutzmaßnahmen gewährleistet seien. Mindestabstand, eine maximale Teilnehmer*innenzahl und stationäre Kundgebungen statt Demonstrationen – all das könnten Ansätze sein, um die Versammlungsfreiheit auch in diesen Zeiten möglich zu machen. »Man sollte dieses Grundrecht bewahren, anstatt es abzuschaffen«, so Schrader.
Dem stimmt auch Benedikt Lux (Grüne) zu. »Das Grundrecht auf Versammlung ist ein ganz besonders wichtiges«, sagt der Innenexperte der Grünen-Fraktion. Man solle Einzelfälle prüfen und dabei auf eine starke Kooperation zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde setzen. Seiner Meinung nach wäre dies auch nach jetziger Rechtlage möglich. Ob er eine Anpassung der Verordnung anstrebt, lässt der innenpolitische Fraktionssprecher offen.
»Es ist ein Problem«, sagt auch Zimmermann. Er ist allerdings unsicher, wie zwischen unbedenklichen und bedenklichen Versammlungen in Sachen Infektionsschutz unterschieden werden kann. Für ihn ist nur klar: Die Grundrechte müssen schnellstmöglich wiederhergestellt werden, wenn der Normalzustand zurückkehrt.
Das sieht auch die Innenverwaltung so: »Sie können sicher sein, dass wir die Einschränkungen nur so lange aufrechterhalten werden, wie es aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist«, erklärt Pallgen. Spekulationen über eine Zulassung von Demonstrationen nach dem 19. April, wenn die derzeit gültige Corona-Verordnung ausläuft, möchte er nicht anstellen.
Für die angestrebten Versammlungen am 1. Mai ist dies kein gutes Zeichen. Für Schrader steht fest, dass eine Änderung der Verordnung, wenn überhaupt, dann noch im April erfolgen wird – also vor den wichtigen Versammlungen.
Dass es zu einer Verlängerung kommt, wird bei den Gesprächen mit den innenpolitischen Sprechern angedeutet. Wann der Zeitpunkt der Rückkehr zur Normalität ansteht, weiß niemand so recht. Manch einer vermutet, im Mai. Das Versammlungsrecht wird bis dahin jedenfalls thematisiert. Schrader, der einen Kompromiss mit den anderen Parteien anstrebt, ist sich sicher: »Es wird kontrovers.«
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