Die sterilste Wahl der Geschichte

Südkorea wählte trotz der Corona-Pandemie/ Regierung rühmt sich mit Erfolg im Kampf gegen das Virus

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Koreaner sind also doch für ihren Präsidenten. Im Februar war Moon Jae-in noch in Ungnade gefallen, weil sein Krisenmanagement zu holprig anlief. Nun aber hat sich die Bevölkerung klar hinter die Regierung gestellt. Erste Umfragen nach der Parlamentswahl inmitten der Coronakrise zeigen, dass mehr als die Hälfte der Sitze auf das Regierungslager um die liberale Demokratische Partei entfallen dürften. Das endgültige Ergebnis wird am Donnerstag erwartet.

Der Wahlausgang sendet ein deutliches Signal an andere Länder, in denen dieses Jahr noch Wahlen anstehen. Regierungen können von der Pandemie profitieren, selbst wenn sie Maßnahmen ergreifen, die tief in das Alltagsleben der Menschen eingreifen. In Südkorea sind derzeit Kinos und Bibliotheken geschlossen, Bildungseinrichtungen halten ihren Unterricht online ab. Ein digitales Trackingsystem verfolgt Infektionsfälle. Außerdem brechen in vielen Wirtschaftssektoren die Einnahmen weg.

Die Zustimmung zu all dem begründet sich in den Früchten, die die drastischen Maßnahmen bisher zu tragen scheinen. Durch das breit angelegte Testen der Bevölkerung, die Nachverfolgung von Infektionsfällen, das radikale Isolieren erkrankter Personen, das Desinfizieren öffentlicher Orte und zudem eine hohe Anzahl an Intensivbetten ist Südkorea bis jetzt in der Lage gewesen, die Krankheitszahlen relativ gering zu halten. Am Tag vor der Wahl wurden nur 27 Neuerkrankungen gemeldet. Insgesamt sind 10 600 Menschen mit dem Virus infiziert.

Vergessen scheint jetzt nicht nur die schon vor Ausbruch der Krise prekäre Situation auf dem Arbeitsmarkt. Auch die heikle Lage vor einem guten Monat ist in den Hintergrund gerückt. Anfang März hatte sich die Infektionszahl binnen zwei Wochen von 28 auf über 5000 multipliziert. Kurz zuvor hatte Moon noch versichert, die Lage werde nicht sonderlich schlimm werden. Dann brach die Epidemie aus, Moons Umfragewerte sanken, eine Onlinepetition, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Moon forderte, sammelte 1,5 Millionen Unterschriften.

Der Popularitätsanstieg, den Moon nun erreicht hat, scheint einem Muster zu folgen. Es sind wohl nicht die Hilfspakete in Form von Finanzspritzen, die die Wählergunst gewinnen. Solche Programme wurden schließlich in den USA, Japan, Deutschland und anderswo aufgelegt. Die Beliebtheit von Regierungen hängt vielmehr davon ab, ob man die gesundheitliche Entwicklung für weitgehend unter Kontrolle hält. So fällt die Unterstützung für Regierungen in Japan und den USA, wo Risiken lange vernachlässigt wurden. In Deutschland und Südkorea, wo schneller reagiert wurde, steigt sie dagegen.

Ob die Parlamentswahl in Korea überhaupt stattfinden sollte, war im Vorfeld immer wieder diskutiert worden. Man entschied sich dafür, damit das politische System am Laufen gehalten werde. Menschen wurden ermutigt, entweder auf Briefwahl oder auf das Wählen an früheren Terminen umzusteigen. Auch Patienten, die sich in Behandlung befinden, durften in speziellen Einrichtungen abstimmen.Am Eingang wurde die Körpertemperatur gemessen und Desinfektionsgel ausgegeben. Insofern war dies wohl die sterilste Wahl der Geschichte. 66,2 Prozent aller Wahlberechtigten haben inmitten der Coronakrise ihre Stimme abgegeben. Noch nie seit den ersten freien Parlamentswahlen 1992 lag die Wahlbeteiligung so hoch.

Die konservative Vereinigte Zukunftspartei, die stärkste Oppositionskraft, hatte schon Anfang März gegen die Regierung mobilisiert und dafür auch die Coronakrise als Thema genutzt. An den Tagen vor der Wahl hat sie der Regierungspartei vorgeworfen, durch selektives Testen die Zahl der Neuinfektionen künstlich niedrig zu halten. Die Regierung hat dies zurückgewiesen, warb stattdessen mit Finanzhilfen für 70 Prozent aller Haushalte, durch die vor allem ärmeren Menschen geholfen werden sollen. Auch für Unternehmen sind Hilfsprogramme aufgelegt worden.

Ähnlich wie Deutschland kommt Südkorea hierbei zugute, dass es die Situation erlaubt, finanziell großzügig zu sein. Die Staatsschulden sind mit rund 40 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung relativ gering. Eine Woche vor der Wahl hat Moon Jae-in verkündet, die Finanzspritzen von bisher rund 125 Milliarden Euro, weniger als zehn Prozent der Wirtschaftskraft, seien noch nicht das Ende.

Es bleibt ungewiss, was noch auf das Land zukommt. Gesundheitsexperten haben schon darauf hingewiesen, dass eine zweite Infektionswelle Krankenhäuser und Labore noch stärker belasten würde als bisher. Zudem wurden über 100 Patienten, die zuvor erkrankt und als genesen galten, erneut als krank festgestellt. So ist nicht auszuschließen, dass die Haltbarkeit des Erfolgsmodells Südkorea begrenzt ist. Und dass die Wahl für Moon Jae-in zur richtigen Zeit kam.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.