Schlechtes Zeugnis
Amnesty sieht Rechtsstaatlichkeit in Europa unter Druck
Berlin. Amnesty International sieht die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa zunehmend unter Druck. Im vergangenen Jahr hätten Regierungen etwa in Polen, Ungarn und der Türkei versucht, die Unabhängigkeit der Justiz auszuhöhlen und rechtsstaatliche Prinzipien auszuhebeln, heißt es imm neuen Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation für Europa und Zentralasien, der am Donnerstag veröffentlicht wurde.
In der Migrations- und Flüchtlingspolitik hätten die EU-Mitgliedsstaaten den Schutz von Menschenleben der Abschottung von Grenzen untergeordnet, sagte der Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, Markus Beeko, bei der Vorstellung des Berichtes in Berlin. Zudem seien die Meinungsfreiheit und das Recht auf friedlichen Protest in vielen Staaten beschnitten worden.
Die aktuelle Corona-Krise verschärfe diese Trends, so Beeko. In ganz Europa ergriffen Regierungen derzeit Notfallmaßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus. Einige Regierungen nutzen dabei die Pandemie zur Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit, zur Diskriminierung, Repression oder Zensur.»Es ist ein Prüfstein für die Europäische Union, wie sie den zunehmenden Angriffen einzelner Regierungen auf die Rechtsstaatlichkeit wirksam entgegentritt«, sagte Beeko. Die aktuelle Instrumentalisierung der Pandemie offenbare, »wie wenig ihr das bislang gelungen ist«. Von der Bundesregierung fordert Amnesty klare Zeichen, wenn Deutschland ab Mitte des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.
In Polen etwa habe die Regierungspartei versucht, Gerichte unter ihre Kontrolle zu bringen. Richterinnen und Staatsanwälte, die sich für die Unabhängigkeit der Gerichte einsetzten, seien Disziplinarverfahren und Hetzkampagnen ausgesetzt gewesen.
In Ungarn nutze die Regierung von Ministerpräsident Victor Orban die Corona-Pandemie als Vorwand, »um ihren Angriff auf Menschenrechte und Rechtsstaat fortzusetzen und sich unbegrenzte Macht zu verschaffen«, hieß es weiter. Durch ein neues Gesetz könne die Regierung auf unbestimmte Zeit per Dekret regieren.
Den EU-Mitgliedsstaaten wirft Amnesty vor, mitverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen zu sein, indem sie die Kontrolle »anderen Ländern mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz« überließen. Der international verbriefte Flüchtlingsschutz und der Schutz menschlichen Lebens sei der Migrationskontrolle geopfert worden. epd/nd Kommentar Seite 6
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.