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Auf die Pauke gehauen

Woody Allens umstrittene Autobiografie »Ganz nebenbei« ist lustig, altmodisch, selbstbezogen, latent gruselig und Ausweis einer vergangenen Epoche.

  • Jasper Nicolaisen
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist unmöglich, über Woody Allens Memoiren zu sprechen, ohne auf die Kontroverse einzugehen, die sich im Vorfeld der Veröffentlichung des Buches zugetragen hat. Autorinnen und Autoren des Rowohlt-Verlags hatten sich in einem offenen Brief an diesen gewendet und Enttäuschung über die Herausgabe des Werks geäußert. Sie erklärten sich solidarisch mit dem Anliegen von Allens Ex-Ehefrau Mia Farrow und Teilen von Allens Familie, die dem Filmregisseur vorwerfen, er habe sexualisierte Gewalt gegen seine Tochter Dylan verübt. Ebenso wie in Woody Allens US-amerikanischem Verlag Hachette, der die Veröffentlichung der Autobiografie nach Protesten von Mitarbeitenden abblies, erschienen bei Rowohlt auch die Werke von Farrows Sohn Ronan, der sich mit von Männern in Machtpositionen der Kunst- und Medienwelt ausgeübter sexualisierter Gewalt befasst. Die Autorinnen und Autoren des offenen Briefs an Rowohlt meinten: Die unkommentierte Veröffentlichung der Memoiren Allens müsse als Parteinahme für diesen gegen den Rest der Familie verstanden werden und sei im größeren Kontext der seit Jahren geführten öffentlichen Debatte über männliche Macht und sexuelle Übergriffe in Wort und Tat gegen Frauen gewissermaßen als Wunsch nach einem Schlussstrich zu verstehen.

Rowohlt hat sich für die Veröffentlichung entschieden. In einer Erklärung heißt es, so könne sich jeder Leser sein eigenes Urteil bilden. Können wir es lesen, mit Gewinn lesen, Buch und Streit irgendwie zueinander in Beziehung setzen? Selbstverständlich können wir es lesen, ob mit Gewinn, das hängt von verschiedenen Faktoren ab, aber dazu später. Zunächst ist festzuhalten, dass Allen ein routinierter Erzähler ist, der handwerklich nichts anbrennen lässt. Keine »öden Anekdoten« wolle er bringen, schreibt er, und dieses Versprechen wird auch eingelöst. Mit professionellem Gespür für Rhythmus und Dramaturgie schreitet der inzwischen 84-Jährige die Stationen seiner Karriere ab. Da kommt auch ohne Füllmaterial genug zusammen. Und natürlich ist Allen witzig, auch wenn die Masche, die sich durch sein gesamtes Werk zieht, das eigene Licht mit immer noch groteskeren rhetorischen Exzessen unter den Scheffel zu stellen, sich irgendwann ein bisschen abnutzt. Er habe sich nie als großen Künstler gesehen, teilt Allen mit, noch viel weniger als schwergewichtigen Intellektuellen. Vielmehr habe er stets nur die Gelegenheiten ergriffen, die sich ihm geboten hätten, mit möglichst wenig Aufwand Geld zu verdienen und Frauen zu beeindrucken. Letzteres sei überhaupt der gesamte Antrieb seines Schaffens von frühester Kindheit an gewesen. Sein Begehren sei immer schon auf sehr kluge und gebildete Frauen gerichtet gewesen, mit denen er als Comic- und Baseballnarr, der zudem auch nicht an hipper Popkultur, sondern eher an altmodischem Jazz interessiert gewesen ist, nie habe mithalten können. Befeuert von der Sehnsucht nach einer Scheinwelt, die er aus den Filmen kannte, die ihn als Kind beeindruckt hätten - schwelgerische Großstadtsettings, in denen schöne Menschen sich mit Luxusproblemen herumschlagen -, habe er sich aufgemacht, sein Leben dergestalt einzurichten, dass die Frauen ihm in diesen Traum hätten folgen können, was er, Allen, durch seine Tollpatschigkeit und seine zahlreichen Neurosen jedes Mal zuverlässig zunichte gemacht hätte.

Dieses nur scheinbar selbstkritische Selbstporträt wirkt angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe ein wenig gruselig, zumal die beständige, wenngleich humoristische Selbsterniedrigung dem hochbetagten Allen mit zunehmender Frequenz der Schläge an die Brust etwas geradezu Incel-haftes verleiht, einen Anstrich jener »involuntary celibates« also, die heutzutage als toxische Internetkultur die eigene Unzulänglichkeit in Hass auf die vermeintlich unerreichbaren und immer zu guten Frauen ummünzen, eine besonders perfide, weil vermeintlich selbstanklägerische Form des Misogynen also.

Abseits dessen ermüdet einen, auch angesichts des nicht unbeträchtlichen Umfangs des Buches, mit der Zeit Allens absolute Konzentration auf sich und das eigene Schaffen: So gut wie alle Zeitumstände, kulturelle und politische Faktoren oder auch genauere Schilderungen der vielen Mitarbeitenden und künstlerischen Partner und Partnerinnen werden ausgespart. Eine minutiöse Schilderung der Schaffensprozesse hätte natürlich interessant sein können, allerdings belässt es Allen, vielleicht in dem Bestreben, »öde Anekdoten« zu vermeiden, eben meist bei Berichten über die eigene innere Verfasstheit. Das mag man mit der individuellen künstlerischen Handschrift des Großstadtneurotikers erklären, bedauerlich bleibt es trotzdem, hat Allen doch in dem Dreivierteljahrhundert seiner Tätigkeit mit so ziemlich jedem zusammengearbeitet, der in Hollywood etwas darstellt, und seine Verhandlung von Sexualität, Großstadtkultur und Humor, nicht zuletzt ja auch jüdischer Geschichte in den USA, laufen parallel zu einer der interessantesten Zeiten Amerikas überhaupt. Das alles scheint Woody Allen aber nicht zur Reflexion zu reizen, vielleicht ist es ihm auch egal - oder wir erwarten heute von Kunst und Künstlern etwas anderes als Allen, dem der Innenraum stets das Wichtigste war. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt dabei übrigens der Holocaust dar, der zwar nie offen thematisiert wird, aber als kaum Verdrängtes in den seltsamsten Zusammenhängen hervorspringt, etwa wenn Allen ihn für geeignet hält, als Vergleich mit seiner ersten Ehe herangezogen zu werden.

Überhaupt schlägt die Sprache allerhand Kapriolen, wenn es etwa heißt, man habe »auf die Pauke gehauen bis die Moneten ausgingen«, was, wenn wir Übersetzungstreue voraussetzen, eben der unfreiwillig komische Jargon einer lange zurückliegenden Zeit ist.

Kommen wir anlässlich dieser Beobachtung zur Frage des Lesegewinns zurück. Etwas altmodisch und selbstbezogen aufzutreten, ist, zumal für einen Erzähler in Allens Alter, sicher kein Verbrechen, und die Sehnsucht nach einer immer schon vergangenen Welt mit mehr Glamour, die sich hauptsächlich in der melancholischen Innenschau eröffnet, kann man vielleicht tatsächlich als gar nicht mal unsympathischen Zug seines Werks ansehen. Wie sehr man es genießt, einem älteren Herrn beim Erzählen immer wieder unterhaltsamer Schwänke dieser Art zuzuhören, entscheidet sich wohl daran, wie sehr man selbst mit diesem Humor- und Kunstverständnis aufgewachsen ist, das, ohne gehässig sein zu wollen, gemeinsam mit Allen dieser Tage hinter dem kulturellen Horizont zu versinken beginnt: einem Humor- und Kunstverständnis, das die Zeitläufe und politischen Gegebenheiten ins Private zurückholen will, während die Erwartung der Gegenwart doch eher ist, Privates ins Politische zu steigern.

Die gegen den Filmregisseur erhobenen Vorwürfe tauchen in der Autobiografie denn auch wirklich nur »ganz nebenbei« in wenigen ironischen Sätzen auf. Allen darf sich natürlich dazu äußern, wie er möchte. Es bleibt aber festzuhalten, dass ihm dieser Aspekt seines Lebens in einem umfangreichen Text, den man ja durchaus als Vermächtnis betrachten kann, relativ egal zu sein scheint. Vielleicht ist das eben die Schwäche einer Erzählhaltung gegenüber dem eigenen Leben, die im privaten Verhalten nur das Private sehen kann, das zwar komisch, tragisch und meistens beides zugleich sein kann, niemals aber etwas Allgemeingültiges oder, was noch mehr wäre, etwas, das sich mitfühlend erweitern ließe.

Dies vorzuführen und die Spannung, die es zwischen dem Gestern und dem Heute spürbar werden lässt, das ist tatsächlich ein Gewinn, den man aus dieser unterhaltsamen, witzigen, schwungvollen, hoch egoistischen und latent gruseligen Autobiografie ziehen kann, die gerade in ihrer Beiläufigkeit und dem, was sie leichthin übergeht, bisweilen schlagend wirkt, wie die niedrigste Figur im Schach eben auch en passant schlagen kann.

Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiografie. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O’Brien, Jan Schönherr. Rowohlt-Verlag, 443 S., geb., 25 €.

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