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Wie trans Personen im Netz angegriffen werden
Hass und Hetze in sozialen Netzwerken betrifft vor allem Frauen und marginalisierte Gruppen
Mehr als 50.000 Einsendungen hat die Online-Meldestelle für Hass und Hetze im Netz hassmelden.de seit ihrer Gründung vor einem Jahr erhalten. Das sind über 4000 Meldungen pro Monat oder 137 pro Tag. Wie viele davon trans Personen betreffen, ist nicht bekannt, Statistiken führt hassmelden.de über Betroffenengruppen ebenso wenig wie andere Meldeportale.
Aus Studien über Hasskriminalität gegen trans Personen sowie von Beratungsstellen weiß man aber: Trans Personen werden online besonders häufig attackiert. Ziel der Angreifer ist es, die Betroffenen aus der Öffentlichkeit zu drängen, sie einzuschüchtern, damit sie sich aus den sozialen Medien zurückziehen. Hater machen alte Fotos der Personen ausfindig, aus Zeiten, in denen sie noch nicht als trans Personen auftraten. Die Täter suchen zudem nach abgelegten Namen ihrer Ziele – dem sogenannten Deadname – und verwenden diese in ihren Hassposts so oft wie möglich.
Das Ziel: Einschüchterung
Die Accounts, von denen die Hetze gegen trans Personen kommt, nennen sich Rolliüberfahrer, Der Hasstrollverfolgte. Andere legen sich explizit Twitteraccounts an, die den Namen von trans Personen ähneln, um sie gezielt zu belästigen. Dabei benutzen manche Hassaccounts die abgelegten Namen von trans Personen sowie deren alte Fotos – die sie irgendwo im Netz ausgegraben haben – als Profilbild.
Eine weitere Strategie ist, nach Möglichkeiten zu suchen, um ihre Zielpersonen von Twitter sperren zu lassen. Das ist für viele trans Personen auch deshalb ein Problem, weil sie die sozialen Netzwerke nutzen, um sich auszutauschen und gegenseitig Seelsorge leisten. Durch gezielte Angriffe, zu denen sich Hater auf Twitter oder in geschlossenen Gruppen auf anderen Plattformen verabreden, gelingt ihnen das auch in manchen Fällen. Zum Beispiel, indem sie ihr Gegenüber provozieren, bis diese mit einer Beleidigung reagieren, die bei Twitter gemeldet werden kann. Oder indem sie harmlose Tweets melden, in denen bestimmte Schlagwörter vorkommen, die beispielsweise auf Gewalt hindeuten könnten, aber im verwendeten Kontext total harmlos sind.
Bei Belästigungen, Beleidigungen und anderen Angriffen im Netz hilft HateAid. Lange gibt es die Beratungsstelle noch nicht: seit Juli 2019. Seitdem haben sich 236 Menschen an die Plattform gewandt. Prominenteste Klientin ist Renate Künast. Die Grünen-Politikerin war auf Twitter beschimpft worden und wandte sich daraufhin mit Unterstützung der Beratungsstelle ans Gericht, um die Identität des anonymen Haters ausfindig zu machen.
Der Fall Künast ist exemplarisch: Frauen sind besonders von Hass und Hetze im Netz betroffen. 28,5 Prozent der bisher an HateAid herangetragenen Inhalte waren frauenspezifische Kommentare, davon fünf Prozent Vergewaltigungsdrohungen. Kein einziger der gemeldeten Inhalte war auf Männer bezogener Hass. Neben Frauen sind Minderheiten besonders von Hass im Netz betroffen, berichtet Benjamin Dora, Berater bei HateAid. »Die Menschen, die analog diskriminiert werden, werden es auch im Netz.«
Betroffene reagieren auf Hasskommentare mit Hilflosigkeit, Angst, Wut, sogar psychischen Erkrankungen, sagt Dora. »Hatespeech untergräbt alle vier psychologischen Grundbedürfnisse.« Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, ein positives Selbstbild, Sicherheit und Kontrolle. »Viele Betroffene geben sich selbst die Schuld, fragen sich, ob sie dies oder jenes nicht hätten posten sollen, dann wären sie vielleicht in Ruhe gelassen worden«, sagt Dora und zieht als Vergleich den kurzen Rock heran, der Frauen aus Sicht mancher Menschen selbst die Schuld an Belästigungen gibt. »Nein, nein und nochmals nein. Mit einem selbst hat Hatespeech nichts zu tun.«
Hass trifft elf Prozent aller Nutzer
Elf Prozent all derjenigen, die sich im Internet bewegen, haben laut Dora schon einmal Hatespeech erfahren. Diese zu bekämpfen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, meint er. Ein Mittel dazu soll das 2017 verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sein (siehe Kasten). Es verpflichtet Anbieter sozialer Netzwerke dazu, Hasskriminalität einzudämmen. Die Netzwerke müssen Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit geben, Inhalte zu melden. Strafbare Inhalte müssen an Vollzugsbehörden weitergeleitet werden. Wie sie das tun und welche Kompetenzen ihnen zustehen, ist umstritten. Mehrere Gesetzesinitiativen sollen hier nun nachbessern. Die Reformen sehen unter anderem Transparenzberichte für die Netzwerkbetreiber vor, in denen sie auch kenntlich machen sollen, welche Nutzergruppen besonders von Hasspostings betroffen sind.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von HateAid sind Ansprechpersonen für Betroffene, geben emotionale Unterstützung und hören einfach nur zu. Wer will, kann einen Privatsphäre-Check in Anspruch nehmen. Da wird geprüft, welche Informationen man über sich selbst im Internet finden kann und lernt, wie man möglichst wenige private Informationen – vor allem nicht die eigene Adresse – im Netz auffindbar macht. Wenn es um Hasskommentare geht, bietet HateAid an, die Social-Media-Konten der Betroffenen zu durchforsten, um strafrechtlich relevante Inhalte zu sichten und per Screenshot zu sichern. Wenn notwendig, ermöglicht HateAid Prozesskostenhilfe. Wenn der Hass vom Digitalen ins Analoge übergeht, Hater also an Telefonnummern oder Adressen herankommen und Menschen auch außerhalb der digitalen Sphäre angreifen, verweist HateAid an entsprechende Stellen: die mobile Beratung gegen Rechts oder Stalking-Anlaufstellen zum Beispiel.
Die erste Antwort auf Hasskommentare heißt: blocken, melden, anzeigen. Das gilt auch für nicht selbst Betroffene, die zum Beispiel auf Twitter, Facebook oder Instragram Hasskommentare sehen. Initiativen wie #ReconquistaInternet oder #ichbinhier setzen zudem auf Gegenrede. Das hilft, »um zu zeigen, dass es auch andere Positionen gibt und um Fakten richtigzustellen«, findet Benjamin Dora. »Man erreicht damit wahrscheinlich nicht die Hater, aber die stillen Mitlesenden.«
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