Nichts ist hier normal

Schrittweise geht es aus dem Corona-Shutdown zurück zur Normalität. Dabei war die nie wirklich erstrebenswert.

  • Birthe Berghöfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit vergangener Woche ist klar: Wir kehren schrittweise zur Normalität zurück. Schulen öffnen wieder, genauso Geschäfte bis zu 800 Quadratmetern Ladenfläche und Friseure. Die Wirtschaft kommt langsam wieder ins Rollen, ja das kapitalistische Herz, es schlägt bald wieder. Das Problem: Es schlägt für »produktive« Wertschöpfung und beutet soziale, aber als »unproduktiv« geltende Dienstleistungen aus. Gleichzeitig gilt: Anerkennung erfährt, was produktiv ist, nicht was gesellschaftlich wertvoll ist.

Wer sich also diese Normalität wünscht, der wünscht sich auch Frauen, die teils unsichtbar und meist unentlohnt Care-Arbeit leisten, der wünscht sich die Ausbeutung von Migrant*innen als günstige Arbeitskräfte und Prekarität im Gesundheits- und Pflegebereich. Normalität bedeutet für viele und insbesondere für Frauen, auf dem Erwerbsmarkt bis zum Umfallen zu schuften, bevor Zuhause die »zweite Schicht« beginnt: der Haushalt und die Versorgung der Kinder. Worauf Feminist*innen schon seit Jahrzehnten aufmerksam machen, ist nun auch für alle anderen kaum zu übersehen: Systemrelevante Arbeit ist weiblich, sie ist äußerst schlecht entlohnt und selten anerkannt.

Besonders deutlich wird dies in Aussagen, wie »die Wirtschaft steht still«. Tut sie nämlich gar nicht. Gesundheitssektor und Lebensmittelversorgung, Postdienste und Müllabholung, der systemrelevante Dienstleistungssektor ächzt vielmehr laut vor Kraftanstrengung. »Gleichzeitig findet eine Intensivierung und Verdichtung unbezahlter Versorgungswirtschaft wie Hausarbeit, Erziehung, Bildungsarbeit statt. Dort steht überhaupt nichts still, im Gegenteil«, schreibt der Ökonom Sebastian Thieme. Was also der gemeine Ökonomen mit seinem neoliberalen Tunnelblick nicht sieht: Die Pandemie ist in erster Linie eine Krise der sogenannten Frauenberufe. Stärker noch als üblich, sorgen und kümmern sie sich – als Alten- und Krankenpflegerinnen, als Mütter in der Versorgung der Kinder, als Töchter in der Pflege der Eltern und mittlerweile auch als laienhafte Näherinnen, bei der Versorgung mit Masken. Es scheint so, als katapultiere die Coronakrise uns in die 50er Jahre zurück, schrieb kürzlich die britische Journalistin Helen Lewis im Journal »Internationale Politik und Gesellschaft«. Denn selbst berufstätige Frauen im Homeoffice sind jetzt mit einer Mehrfachbelastung durch häusliche Kinderbetreuung und -bildung konfrontiert, von der man dachte, sich längst von ihr emanzipiert zu haben.

Natürlich gilt die schrittweise Aufhebung der Corona-Maßnahmen auch aus feministischer Sicht als notwendig. Ausgangsbeschränkungen und Quarantäne haben zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt geführt, der Zugang zu Frauenhäusern aber, ebenso wie der zu Schwangerschaftsabbrüchen, ist enorm erschwert. Die »neue Normalität«, wie die Situation in Krankenhäusern und der Stress und die Erschöpfung der dort Beschäftigen gern mal bezeichnet wird, sie ist genauso prekär wie die alte. »Es ist eine Katastrophensituation. Aber der normale Alltag ist schon eine Katastrophe«, kritisiert die Geschlechterforscherin Barbara Thiessen im Interview mit der ZEIT. »Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen sind heute Waren, aus denen Gewinne gezogen werden.« Deswegen gibt es, durch abendliches Klatschen auf dem Balkon, auch nur rhetorische Anerkennung, statt den von Charité- und Vivantes-Beschäftigten in Berlin geforderten 500 Euro mehr pro Monat, solange die Krise anhält. Vielen Dank für buchstäblich Nichts, könnte man sagen.

Wenn die Coronakrise eines deutlich gemacht hat, dann das: Systemrelevante Arbeit und Arbeit, die das Leben überhaupt erst möglich macht, braucht dringend einen höheren Stellenwert und entsprechende Vergütung. Eine Exit-Strategie muss das berücksichtigen. Sie kann weder zurückgehen, noch den jetzigen Zustand als »neue Normalität« etablieren. Es braucht eine am Gemeinwohl orientierte Ökonomie, in der statt Kostensenkung und Profitmaximierung menschliche Bedürfnisse im Zentrum stehen.

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