Modus: Corona

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Modus: Corona

Wir wollten wissen, wie sich Ihr Leben in Zeiten von Corona verändert hat. Viele Leserinnen und Leser haben uns geschrieben, wie sie den Alltag unter diesen schwierigen Bedingungen meistern. Auszüge aus einigen Briefen können Sie hier lesen. Wenn auch Sie uns von Ihren Erfahrungen berichten wollen, schreiben Sie uns eine E-Mail an: ndcommune@nd-online.de, Kennwort: Coronamodus.

Plötzlich drei Nähmaschinen

Mein Terminkalender wird jungfräulicher. Nichts rot Umrandetes mehr, keine wichtigen Ausrufezeichen. Ich (66) lebe allein. Corona stürzt mich nicht in Verzweiflung und Langeweile. Ich lese noch mehr als sonst, entdecke beim ungeliebten Bücher-Aussortieren Ungelesenes, Vergessenes. Ich koche und esse bewusster, ohne Zeitung und Radio nebenbei. Ich gehe wandern in meiner schönen Ostthüringer Heimat - rund um die Osterburg in Weida, durchs wild-romantische Elstertal an schmalen Felspfaden entlang.

Apps und Telefonate erreichen mich. Auch die von Geflüchteten, die Corona-Bekanntmachungen der Stadt Gera ins Arabische übersetzen, die Einkäufe für Ältere erledigen und Masken nähen. Einer jungen Afghanin ging dabei die Nähmaschine kaputt. Ich schrieb darüber in der Zeitung, und sofort bekam sie drei Spendenangebote für Nähmaschinen. Ich spüre keine Einsamkeit, sondern Freude und Zusammenhalt. Ich wünsche, es bleibt so nach Corona.
Elke Lier, Gera

Gymnastik per Youtube

Wir verfolgen die vielen neuen Formen der aktiven Solidarität und beteiligen uns an diversen Spendenaktionen. Besonders wichtig erscheinen uns gerade jetzt die andauernden Aktivitäten, um die Gemeinnützigkeit der VVN/BdA umgehend wiederzuerlangen. Schaut euch nur die vielschichtigen Bemühungen im Netz an!

Wir favorisieren sämtliche durchdachten sinnvollen Maßnahmen, um Corona in Schach zu halten. Distanz bleibt wohl bis auf Weiteres die Devise - wodurch es uns als Rentnern nun doch noch gelungen ist, WhatsApp etwas zu perfektionieren. Wir empfehlen auch die schon im »nd« gelobte Seniorengymnastik mit Gabi Fastner auf Youtube als prima Methode, die Beweglichkeit der »alten Gräten« zu erhalten! Und: Meine Frau schreibt jetzt wirklich alles akribisch zu Corona auf. Mal sehen, ob ein Buch daraus wird.
Charles & Hildegard Dukes, Berlin

Wir essen jetzt besser

Als Rentner hatten wir auch schon vor Corona Zeit, aber immer ein Programm. Zu Ostern hätten wir bestimmt einen Ausflug unternommen. Jetzt bewegen wir uns in der näheren Umgebung. Auch nach Brandenburg fahren wir mitunter, auf unser Waldgrundstück, wo es viel zu tun gibt. Zwei unserer erwachsenen Enkelinnen kaufen für uns ein. Wir essen jetzt mehr und besser als vor Corona.

Wir hoffen, dass nun endlich weitere gefährdete Kinder aus den schlimmen Flüchtlingslagern in Griechenland hergeholt werden - Saisonarbeiter wurden doch auch ganz schnell eingeflogen.
Gudrun Benser, Berlin

Erzählen, dösen, lesen

Wir in Jena müssen inzwischen in allen öffentlichen Einrichtungen Mundschutz, tragen, wofür wir unserer Stadtverwaltung dankbar sind. Für uns - ich 80, meine Ehefrau 77 - nähte unsere Enkelin diese. In unserem Tagesablauf hat sich nicht viel geändert. Wir gehen weiter zur Physiotherapie und freitags einkaufen. Bei Sonnenschein fahren wir zum Friedensberg, wo viele junge Paare und Muttis mit ihren Kleinen auf der Wiese sitzen. Die Polizei schaut vorbei, ist zufrieden und fährt weiter. Oder wir wandern auf unserem zwölf Meter langen Balkon. Wir erzählen, dösen, lesen.
Volkmar Häußler, Jena

Gedanklich in die Welt reisen

Mein Mann und ich gehören zur Risikogruppe. Wir halten die empfohlene soziale Distanz ein, verlassen das Haus nur zum Einkauf, für Therapien und Arztbesuche. Gegen das Einsamfühlen hilft meinem Mann Thomas auch die Lesezeit mit »nd« am Wochenende. So reist er in Gedanken in die Welt. Ich habe jetzt endlich Zeit, die Fotos zurückliegender Reisen in Alben zu kleben. Vergnügen bereitet dabei die Recherche im Internet zur Historie der Orte und zu den Sehenswürdigkeiten, denn kleine erklärende Texte gehören im Album immer dazu. Dann kommen die Erinnerungen ganz von allein zurück.

Wir haben auch einen kleinen Balkon mit vielen Blumen und Kräutern in Töpfen, die jetzt kräftig sprießen. Bei schönem Wetter haben wir dort schon die Wärme und den Frühling genossen.
Sylvia Müller, per E-Mail

Reich-Ranicki würde staunen

Die Wochen im Homeoffice erfordern neben der Arbeit Ideen für den Tag. Hier gibt es einen Vorschlag zum Nachahmen, der bereits den Praxistest bestanden hat: Drei literaturinteressierte Freundinnen haben beschlossen, gleichzeitig in ihren eigenen vier Wänden ein bestimmtes Buch zu lesen und sich dann telefonisch und per WhatsApp darüber auszutauschen.

Zunächst musste ein entsprechendes Werk gefunden werden, das jede zu Hause hat. Schon das Stöbern im eigenen Bücherschrank war eine Herausforderung, verbunden mit dem Erstaunen darüber, was sich über die Jahre so an Literatur angesammelt hat. Letztendlich einigten wir uns auf Stefan Heyms »Lassalle«. Nach den ersten gelesenen Seiten klingelten die Telefone, und es wurde in der Folgezeit heftig diskutiert, analysiert, philosophiert, kritisiert, politisiert und interpretiert, es wurden aktuelle Bezüge hergestellt und auch viel gelacht. Der legendäre Literaturpapst Reich-Ranicki wäre blass geworden, wenn er die Gespräche gehört hätte. Wir waren uns schnell einig, die Wohnzimmergespräche fortzuführen.
Dr. Daniela Fuchs, Berlin

Zeit für Liegengebliebenes

Da all die schönen Dinge, die uns sonst in Trab halten und Spaß machen, weggefallen sind, haben wir plötzlich Zeit, die stiefmütterlich behandelte Wohnung auf Vordermann zu bringen. Gardinen waschen, Fenster putzen, Näharbeiten erledigen, Balkon bepflanzen. Denkspiele im »nd« und in der »nd.Commune« sowie die Wochenaufgabe vom Chemnitzer Schulmodell im Internet werden gelöst, was mitunter nicht nur Stunden, sondern Tage in Anspruch nimmt.

Mit einem Rollstuhlfahrer, den wir während einer Reha-Kur kennengelernt haben, spielt mein Mann Fernschach. Endlich kann man auch die Zeitschriften und Zeitungen ausführlicher lesen. Eine Hausbewohnerin muss hin und wieder zum Arzt gefahren werden. Beim Sonnenbad auf dem Balkon erfreuen wir uns an der wiedererwachenden Natur. Telefongespräche mit Freunden und Verwandten lassen uns erleichtert aufatmen, wenn es ihnen gut geht. Schwieger- und Enkeltochter bieten uns ihre Hilfe an, die wir aber zum Glück noch immer nicht benötigen.
Sigrid Armbruster, Plauen

Mit 91 nun bei Facebook

Ich wurde vor wenigen Tagen 91 Jahre alt. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum viele alte Menschen, die noch gesund sind, so jammern. Ich nehme die Dinge, wie sie sind, und versuche aus meiner »Einsamkeit« das Beste zu machen. Zum Beispiel habe ich das Spazierengehen wiederentdeckt. Allerdings muss ich mir jedes Mal ein Ziel setzen, für etwas, was mich neugierig macht. Sonst setzt sich wieder die Bequemlichkeit durch. Bin mit dem Rollator mindestens jeden zweiten Tag 90 Minuten im Ort unterwegs. Viel Zeit nehme ich mir zum Zeitunglesen, natürlich auch zum Rätselraten und habe beim Aufräumen in der Wohnung so manches Vermisste wiedergefunden.

Obwohl ich es eigentlich nie wollte, habe ich mich bei Facebook angemeldet. Das hat mir neue Impulse gegeben. Ich erfahre, wie viele Menschen sich gegenseitig helfen und was für wunderbare »Freundschaftsangebote« ich bekomme. Alle meine Nachbarn haben mir Hilfe angeboten. Das »Danke-Plakat« aus der Zeitung habe ich auf Pappe geklebt und an meinem Gartentor befestigt.
Ingeborg Schimmelpfennig, Hangelsberg

Erinnerung an Quarantäne

Eines der momentanen Schlagwörter: Quarantäne! Ich hatte es schon lange verdrängt. Zum Glück nicht vergessen, und ich erinnere mich an meine Zeit auf dem Gymnasium 1962. Damals als 15-jähriger Internatsschüler war in Englisch und Russisch eine Klassenarbeit angesagt. Ich schwänzte, zum Arzt gehend, die beiden Klassenarbeiten. Auf die Frage des Arztes, was ich hätte, antwortete ich: Durchfall, Herr Doktor. Das war die schlechteste Antwort, denn ich vergaß, dass zu dieser Zeit in der Lausitz die Ruhr ihr krankhaftes, ansteckendes Unwesen trieb. Sechs Wochen Quarantäne lautete das Arztrezept. Im Quarantäne-Notquartier war ich mit vier betagten Herren untergebracht. Damals noch in alten Feldbetten schlafend. Wir hatten keinen Fernseher. Die Toilette und der Gemeinschaftswaschraum ohne Dusche befanden sich auf dem Flur. Warmwasser lief nur manchmal. Handy, Tablett, Laptop gab es noch nicht. Dafür musste ich mir täglich die Kriegserlebnisse der ergrauten Männer anhören. An grobem Klopapier fehlte es dafür nicht. Wohl aber an Südfrüchten, Obst und Gemüse.

Ich habe es überlebt. Diese Gedanken kamen mir, als meine 14-jährige Enkelin kürzlich am anderen Ende der Leitung über Skype aus Süddeutschland klagend sagte, dass sie ihren Freund nicht besuchen könne. Er sei in Quarantäne. Als ich ihr daraufhin meine Quarantäne-Story erzählte, sagte sie lächelnd: »Opa, da geht’s meinem Freund aber trotz Quarantäne heut noch gut. Und sehen kann ich dich trotz 900 Kilometer Entfernung auch. Bleib gesund.« Genau das wünsche ich allen Leserinnen und Lesern.
Michael Röber, Berlin

Zeit zum Bäumepflanzen

Unter alten Eichen grabe ich die einjährigen Schösslinge aus, bevor Rehe sie vernichten. Ich pflanze sie im Wald aus, gebe jedem einen Pflock und umwickle sie mit Wildzaun. Wenn ich am Tag zehn Pflänzchen geschafft habe, genieße ich abends das selbst geschaffene Glücksgefühl.
Margret Köhler-Gutsch, Reinshagen

Etwas Schönes für die Lieben

Für uns Altersrentner sind die Krise und die damit verbundenen Einschränkungen ganz gut zu verkraften. Am härtesten getroffen hat uns die Absage unserer Flüge nach New York - unsere Tochter und unser Enkel leben dort. Gegen die Unruhe hilft, etwas Schönes für meine Lieben zu tun. Ich koche für meine Frau - für Freunde und Nachbarn muss das ja leider ausfallen. Meine Tochter bekommt wie immer die neuesten Familiennachrichten, und für meinen fast zehnjährigen Enkel muss ich mir immer etwas Altersgerechtes einfallen lassen. Er versteht und spricht gut Deutsch. Daher dachte ich, ihm eine persönliche Ostergeschichte zu schreiben. Die Geschichte hat er Ostersonntag bekommen, und wie es aussieht, ist meine Idee gut angekommen. Aber ich schreibe auch anderes. Meistens trage ich die Idee dazu schon lange mit mir herum. Und jetzt habe ich Zeit und Muße, die Geschichten aufzuschreiben.
Dr. Peter Folmert, per E-Mail

Mandalas und Meditation

Für mich als freiberufliche Dozentin bedeutete die Schließung der Bildungseinrichtungen, dass ich nichts verdiene. Auf unbestimmte Zeit! Nach dem ersten Schock verstand ich sehr schnell, dass ich aktiv werden muss: E-Mails, Anträge, noch mehr E-Mails … Puh!! Dann die ersten Webkonferenzen zur Vorbereitung auf Online-Unterricht. Spannend, aber auch eine Herausforderung. Ich versuchte bei der parallelen »Beschulung« zu vier verschiedenen Programmen nicht durchzudrehen. Und dann noch ständig die Nachrichten! Sehr schnell merkte ich aber, dass mir das in der Menge nicht guttut. Also verordnete ich mir coronafreie Zeiten. Am besten in der Natur - bei einem ausgiebigen Spaziergang, in der Sonne oder bei Gartenarbeit. Wichtig ist, etwas zu tun, was einem richtig guttut - das bringt eine große Ladung positive Energie, und über die freut sich das Immunsystem.

Noch etwas sehr Entspannendes kann ich empfehlen: Mandalas ausmalen! Wunderbar! Und noch ein letzter Tipp: Meditieren. Um Ostern herum bekam ich täglich eine kurze Meditation zugeschickt, die ich jeweils morgens und abends im Bett hörte. Das hat mich wieder richtig stabilisiert.
Andrea Arnold, Erfurt/Greifswald

Keyboard wieder rausgeholt

Ich habe mein Keyboard wieder rausgeholt. Viele Jahre hatte ich nichts gemacht, nun fange ich wieder bei null an. Und ich schreibe Tagebuch - schon rund 15 Jahre lang. Beim Schreiben mit dem Füller wird der Kopf frei, da können die Gedanken fließen. Auch Handarbeiten oder anderes Kreatives ist lohnenswert - am Abend freut man sich, etwas geschafft zu haben. Außerdem: Das nächste Weihnachten kommt, und man kann schon jetzt Schönes für liebe Menschen fertigen.

Danke an alle Mitarbeiter des »nd«, der Druckerei, an die Zusteller, die Post. Bleibt gesund!
Dagmar Vollert, Weßling in Oberbayern

Halb nackt im Bad gefilmt

Nur nach Lebenszeit eingeordnet, gehören wir zur gefährdeten, meine Frau zur höchst gefährdeten Altersgruppe. Deshalb haben wir uns Aufgaben gestellt, die wir bewältigen wollen: für den nächsten Tag, miteinander oder mit der Familie oder Freunden. Wir vermissen unsere Urenkel. Die einjährige E. läuft inzwischen, zeigen die Handyfotos, und vom sechsjährigen A. haben wir eine Einladung zur Schuleinweihungsfeier am 8. August erhalten. Diese werden wir gern annehmen. Allerdings haben sie uns alle bei einem Handykontakt - von uns aus nicht bemerkt - im Bad halb nackt stehend betrachtet, zur Freude der ganzen Familie. Gern nahm A. ein Knobelbuch von uns mit Konzentrationsübungen, Vergleichsaufgaben und anderen Aufgaben für die Vorschulzeit an. Er wird es nach Erledigung der Aufgaben signieren und uns zurückgeben.

Im vorigen Herbst besuchten wir alle gemeinsam einen Waldtag und erwarben vorbereitete Bretter für einen Nistkasten mit Schlupfloch für eine Blaumeise. Der Vater unseres Urenkels nagelte diesen mit ihm zusammen - der Nistkasten wurde zu einem wunderbaren Weihnachtsgeschenk für mich. Im Obstbaum fand sich ein Platz dafür. Ein Blaumeisenpärchen nahm das Angebot an, akzeptierte mich bald als Sicherheitsangestellten gegenüber der scheinheiligen Katze, der listigen Elster und dem flinken Marder. Nun erleben wir das pralle Leben einer Brutzeit und staunten über die Geschicklichkeit beim Nestbau.
Manfred Schemel, per E-Mail

Wir-schenken-uns-nichts
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