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Olympia beschleunigt Corona

Schwere Vorwürfe gegen japanische Regierung / Virusbekämpfung angeblich wegen »Tokyo 2020« vernachlässigt

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Zeit lang sah es so aus, als wäre Japan von Covid-19 kaum betroffen. In vielen Teilen der Welt gab es längst Ausgangssperren, da lief der Alltag im ostasiatischen Land noch recht unverändert weiter. Die Leute sollten möglichst im Homeoffice arbeiten und Schulen blieben geschlossen, die Restaurants und Bars öffneten aber weiterhin. Diverse Sportevents waren zwar seit Februar abgesagt, doch das größte von allen sollte dennoch stattfinden: Die Olympischen Spiele, so betonten die Organisatoren noch über Wochen, würden ganz bestimmt im Juli dieses Jahres starten.

Seit aber am 24. März auf großem internationalen Druck hin »Tokyo 2020« in den Sommer 2021 verschoben wurde, sieht auch in Japan vieles anders aus. Die Zahl bestätigter Infektionsfälle hat sich von rund 2000 auf am Anfang der Woche über 10 000 mehr als verfünffacht.

Nur einen Tag nach der Olympiaverschiebung erklärte Tokios Gouverneurin Yuriko Koike die ersten Anordnungen zum Daheimbleiben. Anfang April rief dann Premierminister Shinzo Abe den Ausnahmezustand für die größten Metropolregionen aus. Seit vergangener Woche gilt die Maßnahme für das ganze Land. Laut einer Umfrage des öffentlichen Rundfunksenders NHK finden drei Viertel der Befragten, der Ausnahmezustand hätte früher verhängt werden sollen. Und noch vor der Olympiaverschiebung gaben zwei Drittel in einer Umfrage von Yahoo Japan an, dass sie »Tokyo 2020« gar nicht mehr wollen. Viele glauben, das lange Insistieren auf den Olympiaplan und die späte Reaktion auf die Gesundheitskrise hängen zusammen. Der Vorwurf: Offizielle hätten so lange am Olympiaplan festgehalten, wie dieser noch zu retten schien, und dafür Fragen der öffentlichen Gesundheit vernachlässigt.

Der Politikprofessor Koichi Nakano von der Sophia Universität in Tokio gehört zu den profiliertesten Kritikern der japanischen Regierung. Über das Telefon sagte er: »Politisch betrachtet ist es schwer vorstellbar, dass die beiden Dinge nichts miteinander zu tun haben. Premierminister Abe und Tokios Gouverneurin Koike wollten die Olympischen Spiele unbedingt dieses Jahr veranstalten. Es ging ihnen um Wirtschaftspolitik und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit.«

»Auch als sie ahnten, dass sich dieser Plan wegen des Coronavirus vielleicht nicht umsetzen lässt, warteten sie trotzdem noch ab, ehe sie deutliche gesundheitspolitische Entscheidungen fällten. So wollte man Tokyo 2020 unbedingt retten«, so Nakano. Tatsächlich war Japan schon im Februar vom Virus betroffen. Nachdem durch das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess auch Personen auf dem Festland infiziert waren, zählte für einige Zeit nur China mehr Infektionsfälle.

Dass die Fallzahlen fortan in anderen Ländern explodierten, nicht aber in Japan, liegt kaum am Krisenmanagement. Schließlich reizt das ostasiatische Land inmitten der Coronakrise seine Testkapazitäten nicht aus, so dass die Dunkelziffer von Infektionsfällen um ein Vielfaches höher sein könnte. Während Japan bis Ende März auf kaum 30 000 Tests pro Woche kam, sind es mittlerweile rund 70 000 pro Woche. Zum Vergleich: Deutschland hat allein vergangene Woche 360 000 Tests durchgeführt.

Auch Hitoshi Oshitani, Virologieprofessor an der Tohoku Universität in Sendai und Mitglied des Krisenstabs der Regierung, gehörte zu den frühen Warnern. Schon im Februar, also rund einen Monat vorm Beschluss zur Verschiebung, hielt Oshitani die geplante Austragung von Olympia für unrealistisch. Aber er verneint, dass Japans Offizielle bis dahin bewusst Risiken vernachlässigt haben: »Es stimmt, dass wir das Ausmaß unserer Tests nicht besonders erhöht haben. Wir glauben, dass das auch nicht nötig ist«, erklärt Oshitani am Telefon. »Wir verfolgen stattdessen die Kontaktpersonen der bestätigten Infektionsfälle, um Cluster zu erkennen. In den Clustern testen wir also intensiver.« Zwar werden dadurch Fälle übersehen, aber dieses Problem gebe es überall auf der Welt.

Nicht für alle Beobachter klingt dieser Ansatz nach bloßer Pragmatik im Krisenmanagement. Kritiker erkennen darin auch ein Wegsehen oder sogar Verharmlosung. Koichi Nakano erkennt in der aktuellen Krise Parallelen zur Atomkatastrophe von Fukushima im Frühling 2011. »Die Regierung setzte damals als Experten vor allem Atomphysiker ein, die den Menschen fälschlicherweise sagten, alles sei nicht so schlimm. Sie sprachen in Fachwörtern und arbeiteten für die Ziele der Regierung. Zu deren Zielen gehörte aber, trotz allem an der Atomkraft festzuhalten.«

Auch in den Augen Yasuo Gotos, emeritierter Ökonomieprofessor der Universität Fukushima in Fukushima-Stadt, liegen die Prioritäten der Offiziellen heute ähnlich. »In Fukushima ging es um die Atomkraft. Bei Tokyo 2020 geht es der Regierung um ihre Wirtschaftspolitik.« Olympia sollte einen Aufschwung generieren, von der Internationalisierung japanischer Betriebe bis zu einem Tourismusboom ausländischer Besucher nach Japan. Die Verschiebung kostet nun weitere Milliarden Euro.

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