Winzig und heimtückisch

Viren sind als Krankheitserreger bekannt. Sie waren auch Werkzeug der Evolution.

  • Detlev H. Krüger
  • Lesedauer: 6 Min.

Was macht ein Zellkern ohne Zelle? Nichts. Genau da liegt das Problem von Viren. Sie sind nicht viel mehr als genetisches Material in einer schützenden Verpackung. Sie sind biologische Makromoleküle. Anders als die einfachsten Einzeller besitzen sie keinen Stoffwechsel, können sich nicht eigenständig vermehren. Viren brauchen, um sich zu vermehren, eine lebendige Zelle. Viren dringen in solche Zellen ein, setzen ihre Erbinformation frei und programmieren die Zelle so um, dass sie meist zig Kopien des Virus produziert und diese dann freisetzt. Die Wirtszelle - ob nun ein Einzeller oder die Zelle eines komplexen Organismus - stirbt dabei meist ab.

Viel zu klein für Lichtmikroskope

Der Autor

Prof. Dr. med. Detlev H. Krüger (Jahrgang 1950) war von 1989 bis 2016 Direktor des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Charité in Berlin, wo er seit der Emeritierung noch als Seniorprofessor forscht und lehrt.

Obwohl erste Berichte über von Viren verursachte Krankheiten bereits aus der Antike überliefert sind, wurden Viren erst wesentlich später entdeckt als Bakterien. Ein wichtiger Grund dafür ist deren geringe Größe. Die Erreger der Maul- und Klauenseuche und die Schnupfen auslösenden Rhinoviren sind weniger als 30 Millionstel Millimeter groß, Grippeviren 80 bis 120 Millionstel Millimeter. Anders als Bakterien sind die meisten Viren also mit üblichen Lichtmikroskopen nicht mehr zu sehen. Erste Hinweise auf die Existenz so kleiner Krankheitserreger fanden sich durch die Nutzung bakteriendichter Filter. So entdeckte der russische Biologe Dmitri Iwanowski, dass der filtrierte Saft von Tabakpflanzen, die unter der Mosaikkrankheit leiden, andere Pflanzen ebenfalls infizieren konnte. Lange glaubte man in derartigen Fällen, es sei eine Art flüssiger Erreger am Werk. Erst Ende der 1930er Jahre konnte man erste Viren als winzig kleine Partikel mit dem damals neuen Elektronenmikroskop (übrigens in Berlin!) sichtbar machen.

Inzwischen kennt man Tausende Virenarten mit unterschiedlichem Aufbau. Die Unterschiede zwischen ihnen fangen schon beim Erbmaterial an. So gibt es Viren, deren Erbgut aus der Ribonukleinsäure (RNA) besteht, wie beispielsweise die Grippeviren oder die Coronaviren. Andere nutzen, ähnlich wie bei Bakterien, Pflanzen und Tieren, das verwandte Erbmaterial Desoxyribonukleinsäure (DNS). Manche Viren besitzen nur einen Strang dieser Erbmoleküle, andere Doppelstränge, wie sie auch in Chromosomen vorkommen. Das Erbmaterial - ob nun DNA oder RNA - ist bei Viren von einem Eiweißmantel umgeben, dem sogenannten Kapsid. Das hält außerhalb der Wirtszelle die Nukleinsäure zusammen.

Während bei einem Teil der Viren dieses Kapsid auch alle Eigenschaften besitzt, die nötig sind, um sich an Wirtszellen anzuheften und in diese einzudringen, haben andere Viren noch eine zusätzliche Hülle. Dazu gehören beispielsweise die Humanen Immundefizienzviren (HIV), Grippeviren und Coronaviren. Die meisten Viren, die unerwartet ihren Wirtsorganismus wechseln, gehören zu den umhüllten Viren. Die sind einerseits empfindlicher gegen Umwelteinflüsse, tolerieren aber zugleich auch mehr genetische Veränderungen. Wenn also ein Gen mutiert, das für bestimmte Oberflächenmoleküle zuständig ist, kann das Virus plötzlich an Zellen einer anderen Tier- oder Pflanzenart andocken. Das bekannteste Beispiel für einen solchen Wirtswechsel ist das HIV, das vom Affen stammt.

Bei einem »nackten« Virus ist die Toleranzbreite für Veränderungen seines Kapsids geringer. Die Proteine, aus denen das Kapsid besteht, sind ja in einer langen Evolution aufeinander abgestimmt. Wenn es da zu Mutationen der Gene kommt, ist das Zusammenwirken der Proteine im Kapsid in der Regel das Ende. Zu den »nackten« Viren zählen beispielsweise die Polioviren oder die an Erkältungen beteiligten Adenoviren.

RNA-Viren leichter veränderlich

Nicht nur ihr äußerer Aufbau hat Einfluss darauf, ob Viren relativ stabil oder leicht veränderlich sind. Dafür spielt auch die Art des Erbguts eine Rolle. So sind RNA-Viren leichter veränderlich als DNA-Viren. Ein Grund dafür ist, dass jene Enzyme, die für das präzise Kopieren (Replikation) von DNA sorgen, die sogenannten DNA-Polymerasen, eine Korrekturfunktion besitzen. Ihr Gegenstück bei der RNA, die RNA-Polymerasen, haben das nicht. Natürlich werden im Zuge der Virusevolution die meisten der durch Mutationen entstehenden Veränderungen wieder aussortiert. Aber es gibt immer die Chance, das auch etwas für das Virus »Nützliches« dabei ist, etwa der Zugang zu einem neuen Wirt.

Viren vermehren sich nicht in jedem Falle in ihrer Wirtszelle und töten sie. Einige Viren können durch den Einbau ihres Erbmaterials in die Zelle auch Eigenschaften der Wirtszelle verändern, ohne sie umzubringen. Solche Viren replizieren ihr Erbmaterial als Teil des Erbmaterials der Zelle und können dabei Eigenschaften der Zelle ändern, zum Beispiel Tumoren auslösen.

Vermutlich verdankt auch das Genom der höheren Lebewesen den Viren einiges. Die Entwicklung vom Niederen zum Höheren in der Biologie war mit einem beträchtlichen Zuwachs an genetischem Material verbunden. In einigen Fällen stammen die hinzukommenden Gene wahrscheinlich von Viren. So kennen wir inzwischen bei Menschen und Tieren einige sogenannte endogene Retroviren. Das sind Viren, die irgendwann in unserer Evolution in Zellen hineingekommen sind und diesen neue Erbeigenschaften vermittelt haben. Sie vermehren sich seither nicht mehr als Virus, sondern sind ein ganz normaler Bestandteil unseres Erbmaterials in den Chromosomen.

In ihrer eigenen Evolution spielen bei Viren nicht nur spontane Mutationen eine Rolle. Es gibt Viren, zum Beispiel Influenzaviren, bei denen die Gene nicht, wie sonst üblich, hintereinander im Nukleinsäuremolekül angeordnet sind, sondern jedes Gen bildet ein eigenständiges Molekül. Und wenn zwei verschiedene Influenzaviren dieselbe Zelle befallen, können sich diese Einzelbausteine neu kombinieren. Dadurch entstehen beim Influenzavirus immer wieder neue Typen, die zum Beispiel den Wirtsbereich und die Immunogenität des Virus ändern können - das Immunsystem des Wirts erkennt die veränderten Viren nicht mehr.

Doch Viren befallen nicht nur Tiere oder Pflanzen. Eine große Gruppe der Viren, die sogenannten Bakteriophagen (Bakterienfresser), ist auf Bakterien spezialisiert. Wenn sie dabei das Bakterium töten, können sie durchaus auch medizinisch nützlich sein. Nachdem in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl bakterieller Krankheitserreger gegen die bisherigen Antibiotika resistent geworden ist, wird der Einsatz von Bakteriophagen als alternative Behandlung für bakterielle Infektionen diskutiert.

Umgekehrt können Bakteriophagen allerdings auch die Gefährlichkeit von Bakterien erhöhen. So wurde das Gen für das Gift (Toxin) der Cholerabakterien von einem Virus in die Bakterienzelle eingeschleppt. Derartige Phagen nennt man temperente - gemäßigte - Phagen. Diese Viren können, ähnlich wie die oben erwähnten Tumorviren, ihr Erbmaterial in die Zelle einbauen. Das können eigene Gene sein, aber auch mitgebrachte aus anderen Zellen. Zum Beispiel auch Antibiotikaresistenz-Gene.

Werkzeug für die Krebstherapie

Medizinisch interessant sind Viren auch, weil man sie gegen Krebs einsetzen kann. So lassen sich beispielsweise Adenoviren genetisch so manipulieren, dass sie sich in bestimmten Tumorzellen besser vermehren als in der gesunden Zelle. Und selbst das gefährliche Masernvirus lässt sich möglicherweise für solche Zwecke verwenden. So wurde am Paul-Ehrlich-Institut in Langen ein Masernvirus so verändert, dass die Rezeptoren auf der Virushülle selektiv an ein Oberflächenmolekül andocken, das nur Tumorzellen haben, normale Zellen jedoch nicht. Und dann können sich diese Masernviren nur in den Tumorzellen vermehren und sie zerstören.

Menschen haben sich übrigens lange bevor sie Viren kannten, auch schon welche zunutze gemacht. Ein Beispiel, das ich Studenten gerne zeige, sind Bilder aus den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, auf denen geflammte Tulpenblüten zu sehen sind. Die waren nicht das Ergebnis von Kreuzung und Auslese - also der üblichen Züchtung -, sondern einer Infektion mit dem Tulpen-Mosaikvirus. Die Tulpenzüchter wussten, wenn sie die Tulpenzwiebeln verletzen und Erde von Feldern reinbringen, auf denen geflammte Tulpen gewachsen sind, dann können sie wieder solche Tulpen erzeugen.

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