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Kohls bester Mann
Zum Tode des CDU-Sozialpolitikers Norbert Blüm
Nicht selten schnurrt ein Leben im Rückblick auf einen Satz zusammen. »Die Rente ist sicher« - das fällt vielen sofort ein, wenn die Rede auf Norbert Blüm kommt. Die Formulierung stammt aus dem Herbst 1986, es war Wahlkampf, am Ende der ersten Amtszeit von Kanzler Helmut Kohl. »Denn eines ist sicher - die Rente«, stand auf Plakaten, vor denen sich der Arbeits- und Sozialminister Blüm ablichten ließ.
Später wurde daraus »Die Rente ist sicher«, vielfach von Blüm selbst wiederholt und auch von seinen Kritikern in Erinnerung gebracht. 1997 etwa, es nahte erneut eine Bundestagswahl, setzte die konservative Regierung eine Reform durch, mit der ein demografischer Faktor in die Rentenformel eingebaut wurde. Das Ergebnis war die Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent. Unterm Strich nichts anderes als eine Rentenkürzung. Die Opposition wetterte dagegen, auch SPD und Grüne, die ein paar Jahre später die Rente teilprivatisierten, was wiederum Blüm auf die Barrikade trieb. Diese ritualisierte, auswechselbare Empörung gehört sicher zu den Gründen wachsender Politikerverdrossenheit.
Norbert Blüm war eine Ausnahmeerscheinung im bundesdeutschen Politikpanorama. 1935 als Kind einer Arbeiterfamilie geboren, Lehre als Werkzeugmacher, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, dann Studium der Philosophie, Germanistik, Geschichte, Theologie. Einer, der sich durchgebissen und hochgearbeitet hat. Die christliche Soziallehre hat ihn geprägt.
16 Jahre lang war Blüm der treueste Minister von Helmut Kohl. Nur ihn behielt Kohl während seiner gesamten Amtszeit im Kabinett. In seine Ära fallen die Einführung der Pflegeversicherung und die Überleitung der DDR-Rentenansprüche ins bundesdeutsche System - mit all ihren Defiziten und Ungerechtigkeiten. An parteiinternen Intrigen gegen den Übervater beteiligte er sich nicht, sprang stattdessen immer für ihn in die Bresche. Mit seiner Frohnatur und bodenständiger Rhetorik war Blüm das soziale, nette Aushängeschild einer CDU/CSU-FDP-Regierung, die genau wusste, zugunsten welcher Klasse sie Politik machte und wie weit die sozialpolitischen Kompromisse reichen mussten, um den Laden im Griff zu behalten. Mit Kohl verscherzte er es sich erst, als der nach seiner Kanzlerzeit um keinen Preis die Namen der anonymen Absender illegaler Parteispenden nennen wollte.
Als Politrentner wurde Blüm zum Rebellen auch gegen die eigene Partei, zum Brandredner, mitunter zur tragischen Figur. Er geißelte, ähnlich wie der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, die krassesten Auswüchse des Neoliberalismus, auch die Rente ab 67, und wurde auf einem CDU-Parteitag 2003 ausgelacht und ausgepfiffen, wo er als Einziger einem Konzept der neuen Parteichefin Angela Merkel zum drastischen Sozialabbau widersprach.
Zuletzt war Norbert Blüm weitgehend gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Am Donnerstag starb er im Alter von 84 Jahren. Vor etlichen Jahren im nd-Interview gefragt, ob er wisse, wie sein Grabstein aussehen werde, sagte er: »Hauptsache, er ist ohne Kinderhände hergestellt. Auf mein Grab kommt so ein Ding nicht.«
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