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- Österreich und Corona
»Die Bundesregierung übertreibt es«
Der stellvertretende Parteichef der SPÖ Andreas Schieder über Selbstinszenierung in Zeiten von Corona
Umfragen zeigen: Die Wähler stellen Österreichs Regierung aus ÖVP und Grünen ein gutes Zeugnis aus. Würden Sie mitziehen?
Wir sind in einem Krisenbewältigungsmodus. Da gibt es eine Orientierung auf die Exekutive - das ist klar. Aber die Probleme, die nach Corona übrigbleiben, werden massiv sein: eine schwer geschädigte Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, soziale Verwerfungen. Ich würde mir vor allem mehr faktenbezogene Entscheidungen wünschen und weniger Inszenierung. Dänemark etwa hat ab 15. April begonnen, Schulen zu öffnen. In Österreich dagegen wurde das Bildungsthema viel zu lange beiseite geschoben oder es wurden Einzelentscheidungen getroffen, die nicht ganz kohärent sind.
Andreas Schieder ist neben Pamela Rendi-Wagner stellvertretender Parteichef der SPÖ und Abgeordneter im EU-Parlament. Über den Umgang der österreichischen Bundesregierung mit dem Coronavirus, ungerechte Verteilung von Finanzhilfen und darüber, wie die Krise zur Selbstinszenierung genutzt wird sprach mit ihm Stefan Schocher.
Macht die Regierung etwas richtig? Sind die Maßnahmen letztlich alternativlos?
Die endgültige Beurteilung wird man Monate nach Corona vornehmen können. Es ist für jede Regierung auf der Welt eine neue Herausforderung. Österreich hat anscheinend Corona bis jetzt im internationalen Vergleich gut bewältigt. Und das liegt sicher auch an den Maßnahmen der Regierung. Aber man muss zusätzlich sagen, dass Österreich auf ein starkes Gesundheitswesen zurückgreifen kann. Das, glaube ich, war das Glück Österreichs, plus eine sehr disziplinierte Bevölkerung.
Die Opposition ist aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Woran liegt das?
Die Bundesregierung übertreibt es mit der Inszenierung. Tägliche Pressekonferenzen, manchmal vier an nur einem Tag - das zeigt das wahre Interesse der Bundesregierung.
Sind die Grünen in der Regierung eine gewisse Rückversicherung?
Das sehe ich nicht so. Es gab legistisch schlechte Verordnungen, die dann noch falsch öffentlich dargestellt wurden. Etwa die vier Gründe, für die man das Haus verlassen durfte, die in der Verordnung aber fünf sind. Und da kommen wir zu dem Punkt, dass die Regierung nicht das Mindestmaß einer Begutachtung organisiert hat.
Stichwort: Debatten, Begutachtungen - gibt es noch so etwas wie eine parlamentarische Kontrolle?
Nein, es gibt oberflächliche Diskussionen via Videokonferenz. Aber das kann keine parlamentarische Kontrolle und keinen demokratischen Diskurs ersetzen. Und hier muss man sagen: Den nationalen Schulterschluss in der Bekämpfung von Corona gab es nur, solange ihn die Regierung auch gebraucht hat. Danach war es vorbei.
Was erwarten Sie für die parlamentarische Nachbereitung, etwa in Bezug auf die Abwicklung von Finanzhilfe durch die ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer?
Was wir brauchen, ist eine echte parlamentarische Kontrolle über die Vergabe der Mittel. Und klar ist: Wir brauchen rasche Hilfe. Wenn man jetzt hinhört, ist die Hilfe, die es gibt, weder rasch noch demokratisch, noch kommt sie bei denen an, die sie am dringendsten brauchen. Dafür kommt sie an bei Leuten, die sie weniger brauchen: etwa in der Hotelerie in Tirol. Das schreit nach einer parlamentarischen Kontrolle. Es war ein bewusster Zug, die Vergabe durch die Wirtschaftskammer abzuwickeln. Und es wurden Kriterien beschlossen, die Kleinstunternehmer ausklammern. Das ist unerträglich.
Wie kommen wir da raus?
Zuerst muss die Lage so sein, dass man in einen Normalzustand wechseln kann. Und man muss sich liberaler Bürgerrechte bewusst sein und diese frühestmöglich wieder einfordern. Es wird notwendig sein, dass die Opposition im Parlament die Kontrolle einfordert und es keine rasche Gesetzesabwicklungen gibt, wenn die demokratische Kontrolle fehlt.
Ist diese Krise denn eine Gefahr oder eine Chance für die EU?
Das hängt stark von der EU ab. In Wahrheit aber ist es eine Chance. Denn wir merken, was wir brauchen: Mehr Koordination und Zusammenarbeit. Wir sehen einen symmetrischen Schock. In allen Ländern wird die Wirtschaft massiv schrumpfen. Daher muss der Ansatz auch sein, ein gemeinsames großes Wiederaufbaupaket zu schnüren, dass einen gemeinschaftlichen Aufbau sichert.
Österreich legt sich quer, dennoch präsentiert sich Kurz als glühender Europäer.
Das Kochrezept ist simpel: Schauen, was auf europäischer Ebene diskutiert wird, etwas vorstellen und dann behaupten, man sei der Erste gewesen. Ein Beispiel: Der Europäische Rat beauftragt die Kommission, bis Ostern einen Entwurf vorzulegen, wie man zurück zur Normalität kommt; Österreich verkündet eine Woche vor der Deadline der Kommission, man habe selbst eine Exit-Strategie und stellt sich dann als Vorreiter dar - obwohl man nur abschreibt. Wir agieren extrem egoistisch, wir haben Grenzen geschlossen, wir haben Pflegerinnen und Pflegern Geld gestrichen, jetzt versuchen wir sie einzufliegen. Wir wollen keine Flüchtlinge, chartern t aber Flieger, um billige Erntehelfer einzufliegen. Und jetzt stellen wir uns gegen gemeinschaftliche Regelungen zum Wiederaufbau.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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