• Berlin
  • Antimuslimischer Rassismus

Islamfeindlichkeit steigt massiv an

Verein Inssan verzeichnet einen starken Anstieg der gemeldeten Fallzahlen von antimuslimischen Rassismus

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis heute sind die vom Gericht verfügten 500 Euro Schmerzensgeld nicht bezahlt worden. Weil er im August vergangenen Jahres eine Muslimin in Anwesenheit ihrer drei Kinder in einer voll besetzten S-Bahn in Berlin-Wedding erst beleidigte und dann mit der Faust ins Gesicht schlug, wurde der Täter im Februar dieses Jahres unter anderem wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Der Fall steht exemplarisch für die Zunahme von Gewaltvorfällen, die das »Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit« des Vereins Inssan in der Hauptstadt dokumentiert.

An diesem Dienstag wurde die Jahresbilanz der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Ergebnis: Seit drei Jahren ist ein extremer Anstieg der Fallzahlen von antimuslimischen Rassismus zu verzeichnen (siehe Grafik). Demnach stieg die Anzahl der Fälle von 177 im Jahr 2018 auf 265 im vergangenen Jahr an. Das entspricht einem Anstieg von über 50 Prozent innerhalb eines einzigen Jahres.

»Negative Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen und der islamischen Religion sind weit verbreitet«, sagt Zeynep Çetin, die das Netzwerkprojekt des Vereins leitet. Wie hoch die Zahl der islamfeindlichen Übergriffe tatsächlich ist, kann die Anwältin nur schwer abschätzen. Inssan kann nämlich nur die Fälle darstellen, die bei dem Verein aktiv von den Betroffenen gemeldet werden. Häufig werden Musliminnen und Muslime wegen ihrer islamischen Religionszugehörigkeit (225 Fälle) diskriminiert, häufig aber auch wegen einer zugeschriebenen ethnischen Herkunft oder aufgrund ihres Geschlechts. Bei einigen Meldungen überschneiden sich daher die Gründe für die Meldung bei Inssan.

Andere Dokumentationsprojekte wie die Berliner Registerstellen, die ebenfalls Übergriffe in der Stadt dokumentieren, haben im selben Zeitraum von 2018 auf das Jahr 2019 im Übrigen ebenfalls eine Verdopplung der antimuslimischen Gewalt und sogar mehr als eine Verdopplung der Beleidigungen in diesem Feld festgestellt. Sowohl Inssan als auch die Registerstellen, die es in jedem der zwölf Berliner Bezirke gibt, tauschen sich stark aus. Dennoch dürfte die tatsächliche Zahl der antimuslimischen Vorfälle in Berlin deutlich höher liegen. Das Dunkelfeld ist groß. Insofern sind die neuen Zahlen von Inssan für Berlin zwar nicht repräsentativ, aber es lässt sich zweifelsohne ablesen, dass in der Bevölkerung immer stärker antimuslimische Ressentiments vorhanden sind.

»Das reicht von Diskriminierungen, Beleidigungen, Anspucken bis hin zu tätlichen Angriffen«, sagt Zeynep Çetin. Hunderte Menschen würden tagtäglich auf dieser Grundlage immer wieder als fremd und nicht zugehörig markiert. »Die Diskriminierungen sind in der Mitte der Gesellschaft verankert«, sagt die Projektleiterin bei Inssan.

Um dem antimuslimischen Rassismus wirksamer zu begegnen, hofft der Verein, dass sich die Betroffenen künftig mit dem neuen Antidiskriminierungsgesetz besser zur Wehr setzen können. Der Entwurf für das Gesetz liegt zwar vor und wird derzeit im Abgeordnetenhaus besprochen. Verabschiedet ist das von Rot-Rot-Grün als »zentrale antidiskriminierungsrechtliche Schlüsselprojekt« bezeichnete Gesetz aber bislang noch nicht worden. Eine weitere Forderung des Vereins ist es, dass die Beratungs- und Dokumentationsstelle für antimuslimischen Rassismus in Berlin ausgebaut werden soll. Wegen der gestiegenen Anzahl von Diskriminierungen, aber auch angesichts der Entwicklungen, dass extrem rechte und rechte Gruppierungen diese Stimmung aufgreifen.

Im Mitte-links-Bündnis wird darauf verwiesen, dass die dafür nötigen finanziellen Mittel vorgesehen sind. »Mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 haben wir die Grundlagen dafür gelegt, die Beratungsstrukturen und die Antidiskriminierungsarbeit gegen antimuslimischen Rassismus weiter auszubauen«, erklärten die Grünen-Abgeordneten Bettina Jarasch und Sebastian Walter.

Ob Inssan dabei zum Zuge kommen wird, ist unklar. Auf nd-Nachfrage heißt es aus der Senatsverwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD), dass man an der neuen Beratungsstelle zwar »dran« sei. Aber das Projekt erst in einem Wettbewerb ausgeschrieben werden müsse. Die neue Registerstelle wird wohl bei der Landestelle für Gleichgehandlung - gegen Diskriminierung angedockt werden, die zur Senatsverwaltung für Justiz von Senator Dirk Behrendt (Grüne) gehört.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -