Feuer und Flammen

Ermittlungen wegen des Brandanschlags auf die Ausländerbehörde in Göttingen wurden eingestellt

  • Simon Volpers
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch immer ist das Göttinger Amtshaus weiträumig abgesperrt. Seit dort vor fast einem halben Jahr Feuer gelegt wurde, sind Spezialfirmen damit beschäftigt, die Schäden des Brands zu beseitigen. Die Sonderkommission der örtlichen Polizei wird deren Arbeit indes nicht mehr stören, ihre Ermittlungen sind seit Kurzem eingestellt. Die Staatsanwaltschaft halte ein nach der Tat veröffentlichtes Bekennerschreiben zwar nach wie vor für authentisch, deren Urheber konnten aber nicht ermittelt werden, so ein Sprecher im »Göttinger Tageblatt«.

Am Morgen des 25. November des vergangenen Jahres entzündeten Unbekannte einen Brandsatz am Eingang des Gebäudes, in dem unter anderem die Göttinger Ausländerbehörde untergebracht ist. Diese wird in dem anschließend auf Indymedia veröffentlichten Schreiben als Teil eines rassistischen Systems bezeichnet, dem die Verfasser_innen »nicht länger tatenlos zusehen« wollten. Auch die Mitarbeiter_innen der Behörde seien »persönlich« für ihr Handeln verantwortlich zu machen.

Politik und Verwaltung traten im Anschluss eine beispiellose Kampagne los. Polizeipräsident Lührig sprach umgehend von »Linksterrorismus«. Auf einer Kundgebung der städtischen Verwaltungsmitarbeiter forderte der sozialdemokratische Oberbürgermeister Köhler: »Null Toleranz für Extremisten. Egal, ob von rechts oder links.« Die nächtliche Brandstifttung setzte er ungeniert mit Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte gleich. »Betroffen sind wir letztlich alle«, meinte er ebenso gleichmacherisch wie faktisch ungenau. Joachim Rogge, Leiter der Göttinger Ausländerbehörde, berichtete, seine Kolleg_innen hätten seit dem Feuer »Angst um Gesundheit und Leben«. Dabei habe sich die Ausländerbehörde »auf einem so guten Weg zu einer echten Willkommenskultur für unsere ausländischen Kundinnen und Kunden« befunden.

Mit einem Anfang April veröffentlichten Statement intervenierten linke Gruppen in diesen Diskurs. Sie wenden sich darin »gegen die in der Debatte vorherrschende Selbstinszenierung der Ausländerbehörde als ‚Service-Behörde‘ und gegen die Gleichsetzung des Brandanschlages mit dem faschistischen Terror mordender Neonazis«. In dem Schreiben heißt es, Schikanen und Maßnahmen gegen hilfesuchende Geflüchtete hätten nach dem Brand noch zugenommen. Auch bemerken die Unterzeichnenden, darunter unter anderem Antifa-Gruppen und der Ortsverband der Göttinger Linken, wer tatsächlich Angst um Gesundheit und Leben haben müsse. Sie verweisen auf den Fall des Geflüchteten Gani Rama, der im vergangenen Sommer im Kosovo zu Tode geprügelt wurde. Zwei Monate zuvor wurde er aus Göttingen dorthin abgeschoben.

Bis zu drei Jahre könne die Sanierung des Amtshauses dauern, heißt es seitens der Stadt Göttingen. Die Ausländerbehörde, ebenso wie das sich ebenfalls im Gebäude befindende Jobcenter sowie der Fachdienst Statistik und Wahlen, sind inzwischen umgezogen. Unmittelbar nach dem Brand war die Arbeit der Behörde deutlich beeinträchtigt gewesen. Die Durchführung von Abschiebungen war bis ins neue Jahr ausgesetzt, berichten Unterstützerkreise der Geflüchteten gegenüber »neues Deutschland«. Gleichzeitig seien viele Betroffene von der Situation verunsichert gewesen. »Das war insgesamt für die ausländischen Mitbürger in Göttingen nicht von Vorteil«, sagt Claire Deery, Göttinger Fachanwältin für Migrationsrecht. Die Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersächsischen beklagt außerdem, dass aufgrund des Brands ein Projekt ihres Vereins in Göttingen nicht zustande gekommen sei.

Ob es sich bei der Brandstiftung also um »effektiven Widerstand« gehandelt habe, wie es im Bekennerschreiben seinerzeit formuliert wurde, darüber darf gestritten werden. Die Arbeit in der Ausländerbehörde jedenfalls geht nun wieder ihren gewohnten Gang. Weniger streitbar ist wohl für viele, dass von einer »Willkommenskultur« dabei nicht die Rede sein kann.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.