»Es ist nicht einfach, nur mit einer toten Kamera zu arbeiten«

In Zeiten von Corona müssen alle improvisieren. Wer tanzt, kennt sich mit Improvisation aus. Tanzunterricht aus der Ferne ist aber eine neue Herausforderung

  • Interview: Tom Mustroph
  • Lesedauer: 7 Min.

Susanne Rinnert, heute 53, hat an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden gelernt. Seit 1991 leitet die Tanzpädagogin und Choreografin die Tanzschule TanzZwiet an der Landsberger Allee in Berlin-Friedrichshain. Bis heute sind Aufführungen fester Bestandteil der Ausbildung und offen für alle Schüler. Für ihre Produktionen hat die Schule mehrere Preise erhalten. Im Interview spricht Susanne Rinnert über Kurse per Videoschalte, Matheunterricht mit Tanzlehrern und Unsicherheiten in Zeiten von Corona.

Die Landsberger Allee in Berlin wirkt wie ausgestorben. Auch in der Tanzschule TanzZwiet ist es ruhig. Die Ankündigung für das Oster-Camp steht noch an der Tafel. Es fiel ebenso aus wie die alljährliche Präsentation der Tanzklassen im Kulturzentrum WABE. Jetzt steht eine Desinfektionsflasche auf dem Tresen. Sie wird gebraucht, denn die Tanzlehrer nehmen abwechselnd Video-Lektionen auf.

Eine Tanzschule lebt vom Tanzen, von Menschen, die sich gemeinsam bewegen. Wie geht das in diesen Zeiten?
Wir probieren einfach ganz vieles aus. Lehrer, die sich Unterricht über Zoom zutrauen und die auch wollen, dass sich die Schüler untereinander sehen, nutzen diese Plattform. Aber nicht jeder will das, was ich verstehe, auch wegen des Datenschutzes. Andere Lehrer gehen auf Youtube. Wir haben Filme geschnitten für Modern Dance und Breakdance, Hip-Hop, Ballett und Kreativtanz.

Was ist Kreativtanz?
Das ist so ähnlich wie Gaga. Da können sich die Teilnehmer einfach nur schütteln, auch gemeinsam mit der ganzen Familie. Dass sie sich 45 Minuten lang durchschütteln, bezweifle ich zwar. Es ist immer die Frage, wie lange sie auf dem Kanal bleiben. Aber es ist eine Abwechslung. An der Zahl der Aufrufe sieht man dann auch, welche Sachen gut waren, wohin die Leute zurückkehren. Wir machen auch eine Bastelkreativstunde – damit haben wir schon vor Ostern begonnen.

Da setzt sich also eine Lehrerin vor die Kamera und fängt an zu basteln?
Genau. Zu Ostern waren es Osterhasen. Jetzt sind es andere Dinge. Es geht um das Motorische und das Feinmotorische. Tanz hat ja viel mit Motorik zu tun. Und danach gibt es Klassik. Oder, was ich auch gut finden würde: Die Kinder machen Mathematik. Und ihre Mathelehrer staunen, wie konzentriert sie dann sind.

Die Kurse werden zu bestimmten Zeiten auf der Website und dem Youtube-Kanal der Schule angeboten und sind danach weg? Oder handelt es sich um ein ständiges Angebot?
Das ist die Frage. Darüber machen wir uns Gedanken. Was wollen die Leute? Und wie gehen wir damit um? Ist alles offen? Jetzt ist ja auch die Zeit, solidarisch zu sein, zu teilen. Das ist auch richtig. Oder gibt es doch Bereiche nur für Mitglieder, die ja Beitrag zahlen? Viel ist davon abhängig, ob unsere Schüler und deren Eltern es als Leistung von uns anerkennen, dass unsere Lehrer hier an der Schule die Clips drehen und das anbieten.

Die Lehrerinnen und Lehrer arbeiten alle von hier aus?
Den Unterricht über Zoom haben sie in der ersten Zeit von zu Hause aus angeboten. Aber was wir auf Youtube stellen, wird alles hier gedreht. Das ist nicht immer einfach, nur mit einer toten Kamera zu arbeiten. Ein Trick ist, dass wir noch einen Bildschirm mit Zoom aufbauen und die Schüler auf diese Art anwesend sind. Und dann wird das live gestreamt und danach auch im Saal geschnitten.

Die Tanzschule wird so zu einem regelrechten Filmstudio?
Ja. Wir überlegen auch, dass wir mit den Lehrern drei, vier Clips hintereinander drehen, die dann aufeinander aufbauen. Dabei wird Pädagogik ganz wichtig. Wie macht man eine Ansprache, der die anderen auch folgen? Noch eine andere Frage ist, wie man Interaktion herstellt. Denn nur so kommt ja der kreative Moment.

Und, wie stellt man den her?
Auf Zoom kann man ja schon Bewegungen korrigieren. Wir haben vor zehn Jahren auch für den Kinderkanal an der Ostsee gedreht. Diese Choreografien könnten die Kids von damals, die jetzt groß sind, den anderen präsentieren. Oder sie studieren sie mit ihren eigenen Kindern ein. Oder man arbeitet mit Schülern, die man gleich im Video korrigiert. Und so, mit der richtigen Ansprache und der unmittelbaren Reaktion darauf, lernen es auch die anderen besser.

An Ideen mangelt es also nicht. Allerdings haben nicht alle Familien Computer zu Hause. Wie erreicht man die?
Das ist die große Frage, die wir uns auch stellen. Ich kenne genug Familien, die keinen Rechner zu Hause haben. Ein weiteres Problem ist, ob die Kinder auch Platz haben zu üben. Haben sie ein eigenes Zimmer? Gibt es eine Zeit, in der sie Raum für sich finden können? Ich habe schon überlegt, dass wir uns Tage nehmen müssen, um jeden aus jeder einzelnen Klasse anzurufen. Aber das ist vom Aufwand her eigentlich unmöglich. Ein Smartphone haben aber alle. Darüber kann man sie dann doch erreichen, selbst wenn die Monitore klein sind.

Wie läuft es finanziell – für die Schule, für die insgesamt etwa drei Dutzend Lehrer?
Ich bin am Rödeln und Rütteln. Es gibt Kurzarbeit für die Festangestellten und für die selbstständigen Lehrer die Unterstützung für Solounternehmer. Ich sitze von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr abends am Rechner und versuche, alles zu organisieren.
Bei der Miete gab es einen Nachlass?
Nein, bislang hat der Vermieter das nicht angeboten.

Wie geht es nun weiter?
Viel hängt davon ab, wie die Situation im Sommer wird. Können wir die Studios wieder öffnen, oder werden wir noch stärker auf Video umstellen? Werden unsere Schüler dabeibleiben? Kann man nur den halben Beitrag verlangen oder den ganzen? Über die Videokanäle ist ja jetzt auch das komplette Angebot verfügbar. Das alles kann man wahrnehmen. Schön finde ich, wie kreativ unsere Schüler in dieser Zeit sind. Einige haben angefangen, ein TanzZwiet-Quiz zu entwickeln. Sie fragen darin zum Beispiel, welche Uhren und wie viele Monitore in der TanzZwiet sind. Das ist ein schönes Spiel. Mario, mein Mann, hat zwei Versionen von den »Vier Schwänen« entwickelt ...

... dem »Tanz der vier kleinen Schwäne« aus dem Ballett »Schwanensee« ...
Genau. Eine Version ist anspruchsvoller, für die Größeren, und eine einfachere für die Kleineren. Ich denke, das werden dann nicht nur vier Schwäne werden, sondern 40. Oder mehr. Eine Gruppe von Schülern hat auch einen Flashmob getanzt, den wir vor vier Jahren in Paderborn aufgeführt haben, und die Videos, die jeder einzelne von sich gemacht hat, zu einem Film zusammengeschnitten. Sie haben auch Aufnahmen des originalen Flashmobs mit hineingenommen. Das wird bald online gehen.

Aus dem Hintergrund meldet sich Jason, der erwachsene Sohn von Susanne Rinnert: »Das ist bei Youtube schon gesperrt, wegen der Musik.«

Oh ja, das ist ein großes Problem, für viele im Tanz. Alles, was Musik ist, auf der Rechte liegen, ist geschützt, selbst wenn es nur ganz kurze Sequenzen sind. Und das wird dann gesperrt. Ich denke, in Corona-Zeiten sollte man hier Ausnahmen machen und großzügiger sein. Aber vielleicht holen wir auch wieder unseren Klavierlehrer, der zu den Übungen improvisiert.

Der Aufwand wird also immer größer, die Videos immer professioneller. Da könnten Sie doch glatt komplett auf Video-Tanz umsteigen. Wie sieht die langfristige Perspektive aus?
Ich denke schon an unsere Märchenaufführungen im Winter. Wie schaffen wir das, sie rechtzeitig einzustudieren? Vielleicht machen wir auch kleine Filme daraus. Ansonsten müssen wir sehr aufmerksam und flexibel bleiben. Wir müssen sehen, welche Kurse wir über den Sommer anbieten können. Wer ist dann noch von den Schülern da? Und welche von unseren Lehrern sind hier?

Wer weiß das schon. Aber vielleicht kommen ja auch viele neue Tanzschüler, all die, die die Clips auf Youtube gesehen haben und nun weitermachen wollen, online, aber auch ganz analog vor Ort?
Ja, das wäre gut. Deshalb sollte zumindest ein Teil der Sachen auch offen zugänglich bleiben.

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