• Wissen
  • Multiresistente Krankheitserreger

Infos aus dem Abwasser

Neue Ideen zur globalen Überwachung multiresistenter Krankheitserreger.

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.

Bakterien, die gleich gegen mehrere Antibiotika resistent sind, machen Ärzten zunehmend zu schaffen. Infektionen mit solchen multiresistenten Erregern in Krankenhäusern sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Zumal Antibiotika mit neuen Wirkprinzipien rar sind, weil die Pharmaindustrie dieses Geschäftsfeld lange nicht mehr lukrativ genug fand. Und so versucht man in Europa und Nordamerika solche Bakterien mit aufwendigen Überwachungssystemen aufzuspüren. So wichtig das für die Patienten in den Krankenhäusern ist, sind die Funde dort letztlich nur punktuell. Überdies sind diese Verfahren für das Gesundheitssystem armer Länder zu teuer. Auf diese Weise lässt sich auch nicht herausfinden, wo die jeweiligen Resistenzen entstehen.

Eine internationale Forschergruppe unter der Leitung von Frank Møller Aarestrup von der Technischen Universität Dänemarks in Kopenhagen will die lokalen Warnsysteme durch einen globalen Ansatz ergänzen. Ausgehend von früheren Forschungen in kleinerem Maßstab richteten sie den Blick auf die Abwassersysteme der Welt, denn die Analyse der Abwassersysteme bietet die Möglichkeit, gezielt nach antibiotikaresistenten Bakterien aus größeren geografischen Räumen zu suchen. Die Proben aus Abwasseranlagen lassen sich nicht mehr einzelnen Personen zuordnen, sodass man zugleich Datenschutzprobleme vermeidet.

Um Daten für ihr Pilotprojekt zu gewinnen, nahm die Forschergruppe Kontakt zu Abwasserunternehmen von 74 Städten in 60 Ländern auf allen Kontinenten auf, um von ihnen Abwasserproben zu bekommen. Diese wurden nach Kopenhagen gesandt, wo das Bakterienmaterial entnommen und genetisch bestimmt wurde. Die gefundenen bakteriellen Gensequenzen wurden mit internationalen Datenbanken verglichen. Die Analyse gab den Forschern den erhofften Überblick, wie die Bakterien in den Regionen der Welt verteilt sind und wo bereits Resistenzen vorliegen.

Beim Vergleich der Proben zeigten sich zwei grundlegend verschiedene Resistenztypen. In Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland dominieren Bakterien, die resistent gegenüber sogenannten Makrolid-Antibiotika sind. Bakterien in Südamerika, Afrika und Asien haben hingegen Resistenzen gegen eine wesentlich breitere Palette von Antibiotika entwickelt. Die vorherrschende Auffassung ist bislang, dass der unbedachte Einsatz von Antibiotika sowohl in der Human- als auch der Tiermedizin dazu führt, mehrfach resistente Bakterienstämme faktisch heranzuzüchten. Doch zur Überraschung der Gruppe um Aarestrup zeigte sich, dass die Proben aus afrikanischen Ländern die höchste Multiresistenzquote hatten, obwohl dort der Verbrauch von Antibiotika verglichen mit den anderen Regionen der Welt am geringsten ist.

Zur Erklärung des Widerspruches benutzten die Forscher Daten des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) und der Weltbank zum Entwicklungsstand der einzelnen Länder. Ein erst vermuteter Zusammenhang mit dem ankommenden Flugverkehr ließ sich nicht bestätigen. Erst ein Blick auf die Infrastruktur der Länder und hier insbesondere der sanitären Anlagen zeigte einen Zusammenhang. In den reicheren Ländern werden multiresistente Bakterien buchstäblich mit der Toilette weggespült und werden durch die nachgeschalteten Kläranlagen weitgehend der Zirkulation entzogen. Das Fehlen flächendeckender Abwassersysteme, ja sogar von Toiletten, in den ärmsten Ländern führt dazu, dass Exkremente längere Zeit an gleicher Stelle verbleiben, was den Bakterien die Möglichkeit gibt, sich zu vermischen und Resistenzen weiter zu geben. Eine ausreichende Zahl von Toiletten und entsprechender moderner Abwassersysteme würde hier auch die Verbreitung multiresistenter Bakterien bremsen.

Nach Ansicht der Forschergruppe kann die globale Überwachung von Krankheitserregern in Abwässern auch dafür genutzt werden, die Entstehung von Epidemien frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu bekämpfen. Als klassische Beispiele nennen sie Cholera und Salmonelleninfektionen. Die regelmäßigen Proben müssten zentral erfasst und ausgewertet werden. Ansätze dazu gibt es bereits von der Weltgesundheitsorganisation WHO und vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten ECDC.

Das Projekt der Forschergruppe kann sich noch bis 2023 auf private Mittel u.a. des dänischen Novo-Fonds stützen. In einem Beitrag für das Wissenschaftsjournal »Science« schlagen die Wissenschaftler vor, dass die WHO das Projekt weiterführen sollte und so eine globale Überwachung multiresistenter Krankheitserreger aufbauen könnte. Die Kosten seien vergleichsweise gering und würden für Entnahme, Versand und Analyse der Proben nur wenige Zehntausend Dollar ausmachen. Zum Vergleich hat die Weltbank berechnet, dass die punktuelle Überwachung einiger Krankenhäuser je nach Land zwei Millionen Dollar erfordern würde. Investitionen in Abwasseranlagen könnten ein wichtiger Teil der Entwicklungshilfe werden und würden letztlich auch den Geberländern zugutekommen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.