- Politik
- Sonthofen
Offline-Streik im Allgäu, Online-Kundgebungen beim DGB
In Sonthofen stand der Kampftag der Arbeiterklasse im Zeichen des Widerstands gegen eine Betriebsschließung.
In Deutschlands südlichster Stadt Sonthofen stand der 1. Mai im Zeichen eines zähen Arbeitskampfs. Seit Donnerstag vergangener Woche streiken hier die Beschäftigten des Getriebebauers Voith gegen die Schließung ihres Werks, dessen Tradition vor gut 500 Jahren mit der Verhüttung von Eisenerz begonnen hatte.
Nun geht es für die selbstbewusste Belegschaft ums Ganze. Die »Hüttler«, wie die Voith-Arbeiter vor Ort genannt werden, sind fast alle in der IG Metall organisiert - und zeigen dem Rest der Welt, dass ein Streik auch in Pandemiezeiten möglich ist. Die Streikposten sind mit Mund-Nasen-Schutz ausgerüstet und halten gewissenhaft Abstand. Am Tag der Arbeit bekamen sie Solidaritätsbesuche von Menschen aus der Region, die mit ihnen um die Zukunft der »Hütte« bangen.
Während im tiefen Süden Deutschlands der Kampftag der Arbeiterklasse mit traditionellen Mitteln und unter freiem Himmel begangen wurde, hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) noch im März alle größeren öffentlichen Veranstaltungen zum 1. Mai abgesagt. Damit gab es erstmals seit 75 Jahren keine DGB-Massendemonstration.
Als Ersatz bot der Dachverband allen Daheimgebliebenen ein digitales Infotainment-Programm aus Reden, Interviews, Talks, Musik und Kultur. DGB-Chef Reiner Hoffmann forderte angesichts der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg ein Konjunkturprogramm, mit dem auch Probleme, die schon zuvor bestanden, in Angriff genommen werden sollten: »Die Klimakrise und der digitale Wandel machen auch vor dem Virus keinen Halt.« Sein Vorstandskollege Stefan Körzell forderte eine gerechte Vermögens- und Erbschaftssteuer zur Bewältigung der Folgen der Krise. »Allein das reichste Hundertstel der Bevölkerung besitzt ein Gesamtvermögen von netto rund 3,8 Billionen Euro«, gab er zu bedenken.
Wer nicht auf eine kämpferische Manifestation unter freiem Himmel verzichten wollte, konnte am Freitag unter Beachtung der Corona-Auflagen in mehreren Dutzend Städten von Schleswig bis Freiburg auf die Straße gehen. Zu den Kundgebungen hatte das kurzfristig gebildete Bündnis »Heraus zum 1. Mai« aufgerufen. So kamen auch in Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden am Mittag rund 100 Menschen bei strömendem Regen zusammen. »Lässt Hessen Soloselbstständige verhungern?«, hatte eine Aktivistin des Verdi-Fachbereichs Medien auf ein Pappschild gemalt. Sie protestierte gegen die Blockade der Landesregierung bei der Hilfe für eine Personengruppe, die schon vor der Krise vielfach ohne Absicherung von der Hand in den Mund lebte. Ein weiterer Verdi-Aktivist forderte die DGB-Gewerkschaften auf, zur nächsten Demo wieder mit aufzurufen.
Dass der Klassenkampf von oben weitergeht, hatten die Metaller in Sonthofen Anfang der Woche erlebt. Die Konzernzentrale hatte eine Spedition mit dem Abtransport vorproduzierter Teile beauftragt. Daraufhin parkten Streikende das Tor zum Werksgelände umgehend mit Dutzenden Autos zu. Das Unternehmen erwirkte beim Arbeitsgericht Kempten umgehend eine einstweilige Verfügung, mit der alle weiteren Blockaden untersagt wurden.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.