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  • Geflüchtete in der Coronakrise

Kein Mindestabstand im Asylheim

Sächsische Gerichte bestätigen Corona-Risiko in Sammelunterkünften für Flüchtlinge

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In Sachsen haben mittlerweile schon vier Flüchtlinge die Entlassung aus Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstritten. Zuletzt gab das Verwaltungsgericht Chemnitz dem Antrag eines 31-Jährigen statt, die Erstaufnahmeeinrichtung im erzgebirgischen Schneeberg verlassen zu dürfen. Verwiesen wurde insbesondere auf ein »besonderes Infektionsrisiko« bei der Benutzung der sanitären Einrichtungen. Der Kläger muss sich nach eigenen Angaben mit 100 Personen sechs Toiletten und sechs Duschen teilen.

Die für die Erstaufnahme zuständige Landesdirektion Sachsen (LDS) rückt dennoch nicht von der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ab. »Wir haben Ankommende in Sammeleinrichtungen unterzubringen«, sagte deren Präsidentin Regina Kraushaar unter Verweis auf die Gesetzeslage in Bund und Freistaat. Zudem zeigte sie sich überzeugt, dass verschiedene Hygienemaßnahmen in den Einrichtungen, etwa ein »deutlich erhöhtes Reinigungsregime«, für einen ausreichenden Schutz vor Infektionen sorgen. Die Pandemielage, sagte der für die Erstaufnahme zuständige Referatsleiter Jens Löscher, rechtfertige »per se keine Entlassung aus den Einrichtungen«.

Dem stehen indes inzwischen Entscheidungen aller drei Verwaltungsgerichte im Land entgegen. Zunächst hatte ein Asylbewerber in Leipzig erfolgreich geklagt, der daraufhin in eine Unterkunft im Landkreis Zwickau verlegt wurde - vorläufig, wie Kraushaar betonte: Die LDS ficht diese Entscheidung an.

Danach hatte das Verwaltungsgericht Dresden den Klagen zweier schwangerer Frauen stattgegeben. In der Entscheidung hieß es, die Klägerin gehöre »schon aufgrund ihrer Schwangerschaft zu einer Personengruppe«, für die »ein erhöhtes Infektionsrisiko« anzunehmen sei.

Kritiker der Unterbringung in den Sammelunterkünften zeigen sich erfreut über die gleichgerichteten Entscheidungen aller drei Gerichte. Diese seien »ein unglaublicher Erfolg aller Schutzsuchenden in Sachsen«, erklärte der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) und forderte, nun müsse »eine politische Lösung« her.

Die Landesdirektion spricht dagegen von »Einzelfällen«. Kraushaar übte zudem indirekte Kritik an den Gerichten, denen sie vorwarf, sich nicht gründlich genug mit den für die Einrichtungen getroffenen Hygieneregeln befasst zu haben. »Wir glauben, die vielfältigen Maßnahmen sind einer grundlegenden Würdigung wert«, sagte sie. Um ihre Rechtsposition »jenseits der Einzelfälle« klarzustellen, habe die Behörde eine »Schutzschrift« bei allen Verwaltungsgerichten hinterlegt.

Kraushaar betonte, dass es in den neun sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen momentan 2663 Menschen untergebracht sind, bisher »keinen einzigen Corona-Fall« gegeben habe, abgesehen von dem zweier Asylbewerber, die Ende März bereits mit Symptomen in Leipzig eingetroffen seien. Seither werden Neuankommende routinemäßig in einer Einrichtung in Leipzig 14 Tage unter Quarantäne gestellt. Außerhalb des Freistaats, so im thüringischen Suhl und in Halberstadt (Sachsen-Anhalt), gab es in Sammelunterkünften dagegen zahlreiche Infektionsfälle.

Vor Gericht hat das Argument, es habe bisher keine Infektionsfälle gegeben, keinen Bestand. Die Corona-Verordnung für Sachsen solle »ja gerade die Infizierung mit dem Virus verhindern«, heißt es in der Chemnitzer Entscheidung. In dieser werden starke Zweifel geäußert, ob eine der wesentlichsten dort festgelegten Maßnahmen - das Abstandsgebot von 1,5 Metern zwischen Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören - in einer solchen Einrichtung einzuhalten sei. Die Grundsätze der Verordnung, betont das Gericht, »finden auch in einer Asylerstaufnahmeeinrichtung Anwendung« - in der sich der Kläger indes mit drei bis vier Mitbewohnern ein nur gut 17 Quadratmeter großes Zimmer teilen muss.

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