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Stimmen, die zur Sprache kommen

Politik der Abwehr: Die Kritik an dem Historiker und Politikwissenschaftler Achille Mbembe ist keine »Kampagne«

  • Tom David Uhlig
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn Antisemitismus öffentlich kritisiert und diese Kritik von anderen aufgegriffen wird, handelt man sich schnell den Vorwurf ein, eine »Kampagne« zu orchestrieren. Nicht einfach geteilte politische Einstellungen sollen dafür verantwortlich sein, dass unterschiedliche Akteur*innen ähnliches zum gleichen Thema sagen, sondern - so suggeriert der Begriff - eine planmäßig koordinierte gemeinsame Aktion. Dem politischen Gegner solch ein strategisches Kalkül zu unterstellen, soll die Ehrbarkeit seines Anliegens unterminieren: Kritik, die mit Mitteln der Werbekommunikation verfolgt wird, erscheint unredlich. Der britische Soziologe David Hirsh prägte für diese Abwehr den Begriff der »Livingstone-Formulation«, benannt nach einem ehemaligen Politiker der britischen Labour Party: Anstatt, dass auf die Anschuldigung des Antisemitismus eingegangen wird, wird zur Gegenanschuldigung übergegangen, die Ankläger seien Teil einer Verschwörung, politische Meinungen zum Schweigen zu bringen. So eine Kampagne wird nun von namhaften Geisteswissenschaftler*innen (darunter etwa die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, der Historiker Wolfgang Benz, der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik und die Soziologin Eva Illouz) den Kritiker*innen Achille Mbembes vorgeworfen: Sie lehnen »diese Art von Kampagnen ab, die Personen, die als politische Gegner ausgemacht wurden, ohne Beweise, unter Zuhilfenahme manipulativ verzerrter Zitate und Inhalte desavouieren sollen«, ebenso wie »die missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusbegriffs«.

Achille Mbembe, derzeit wohl einer der bekanntesten und profiliertesten Vertreter der postkolonialen Studien, sollte zur diesjährigen Ruhrtriennale den Eröffnungsvortrag halten. Dazu kommt es nicht, weil die Veranstaltung wegen Corona ausfallen muss, allerdings löste unter anderem die Kritik des Bundesbeauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, an Mbembe eine Debatte aus. Der »Süddeutschen Zeitung« sagte die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, es handele sich um »erfundene, konstruierte Vorwürfe, die keiner Quellenuntersuchung standhalten«. Manipulationen, Fabrikationen, Erfindungen - welches Interesse die Kritiker*innen daran haben sollten, Mbembes Ruf zu schädigen, lassen seine Verteidiger*innen meist offen. Er selbst fragt in einem Interview im Deutschlandfunk: »Wäre es im Interesse Deutschlands, wenn diese Stimmen und auch meine nicht mehr in Deutschland zur Sprache kommen könnten?« Tatsächlich spricht Mbembe als versierter Kritiker des Kolonialismus und seiner Nachwirkungen Wahrheiten aus, die in Europa oft nur ungern gehört werden. Beispielsweise forderte er 2018 in der Zeitung »Le Monde« die Restitution geraubter afrikanischer Kunstgegenstände, ein Thema, bei dem in Deutschland immer noch herumgedruckst wird. Der Fehlschluss besteht nun aber darin, der Antisemitismusvorwurf wäre lediglich ein Instrument, den unbequemen Philosophen loszuwerden. Wie seine Fürsprecher*innen gibt Mbembe die Kritik an seinen Texten kaum oder nur stark verkürzt wieder, sodass es ihm leichtfällt, sie ad absurdum zu führen. Beispielsweise konstatiert er im Interview, »eine angemessene Kritik von Kolonialismus und Rassismus hat nichts mit der Relativierung des Holocaust zu tun«, ganz so, als hätte jemand das Gegenteil behauptet.

Mbembes Stil, der von Hyperbeln und gelegentlich raunenden Passagen durchzogen ist, macht seine Texte einerseits explosiv und geistig anregend, lässt es allerdings andererseits bisweilen an Präzision vermissen, was nicht ungewöhnlich für die sogenannte poststrukturalistische Philosophie ist. Das wurde Mbembe etwa bei diesem Satz aus seinem Buch »Politik der Feindschaft« zum Verhängnis: »Das Apartheidregime in Südafrika und - in einer ganz anderen Größenordnung und in einem anderen Kontext - die Vernichtung der europäischen Juden sind zwei emblematische Manifestationen dieses Trennungswahns.« Mbembe führt hier Shoah und Apartheid auf die gleiche Wurzel zurück, was historisch strittig ist, jedoch erheblich relativiert wird durch die Einordnung, es handele sich um einen anderen Kontext und eine andere Größenordnung. Solchen Sätzen ist die Ambivalenz zuzugestehen, die der Soziologe Peter Ullrich jüngst in der »Taz« für die Debatte eingefordert hatte.

Unheimlich wird es jedoch, wenn man sie in den Kontext eindeutiger Passagen rückt: »Doch die Metapher der Apartheid reicht nicht aus, um das israelische Trennungsprojekt zu erfassen. Zunächst einmal ruht dieses Projekt auf einem recht einzigartigen metaphysischen und existenziellen Sockel. Die darunterliegenden apokalyptischen Ressourcen und Katastrophen sind weitaus komplexer und geschichtlich viel tiefer verwurzelt als alles, was den südafrikanischen Calvinismus möglich machte.«

Der Text lässt kaum einen anderen Schluss zu als den, dass das »israelische Trennungsprojekt« in irgendeiner Weise wesentlich furchtbarer sein soll als das Apartheidsregime, ja apokalyptisch und katastrophal. Man mag den Zusammenhang konstruiert finden, er ergibt sich aber aus dem Gedankengang des Autors: Diese Passage findet sich nur wenige Seiten vor derjenigen über die Manifestationen des Trennungswahns. Trennung ist das, was Mbembe in diesem Abschnitt seines Buches kritisiert, und mit Trennung verbindet er sowohl die Shoah und die Kolonialherrschaft als auch das »israelische Projekt«. So unterschiedlich er die historischen Ereignisse auch bewerten mag, sie sind in seinem Buch Emanationen desselben Problems, womit auf eine theoretische Schwachstelle der postkolonialen Studien hingewiesen ist: Bei der Shoah ging es nicht um Trennung, um Beherrschung und brutale Unterdrückung, sondern um Vernichtung. Postkoloniale Theorie fokussiert zumeist die Konstruktion von Dichotomien, in denen der Antisemitismus jedoch nicht aufgeht. Im antisemitischen Ressentiment stehen Jüdinnen und Juden nicht für die »anderen« oder »Fremden«, die es zu kontrollieren, sondern sie repräsentieren die Unordnung in der Welt, die es auszulöschen gilt.

Antiisraelische Agitation steht nicht im Mittelpunkt von Mbembes Werk. Anders als andere Autor*innen der postkolonialen Studien wie beispielsweise Judith Butler, Jasbir Puar oder Edward Said, einer der Hauptreferenzen dieser akademischen Tradition, verfasst er keine Bücher, die sich eigens an Israel abarbeiten. Die Dämonisierung Israels hält bei Mbembe eher wie nebenbei Einzug, wie eine Selbstverständlichkeit, die kaum einer weiteren Erläuterung bedarf. Am explizitesten wurde er wohl im Vorwort des von Jon Soske und Sean Jacobs herausgegebenen Sammelbandes »Apartheid Israel«, in dem er schrieb, Israel übe eine wesentlich tödlichere Form von Apartheid aus und es sei Zeit, Israel global zu isolieren. Die Übereinstimmung mit Programmatik und Jargon der antiisraelischen Boykottbewegung BDS ist frappierend. Der Apartheidvergleich gehört auch hier zum Standardrepertoire, womit einerseits die israelisch-palästinensische Realität ahistorisch verzerrt und andererseits die südafrikanische »Rassentrennung« verharmlost wird.

Die Debatte um die Ruhrtriennale scheint verfahren, jedoch unterminiert sie eben jene Selbstverständlichkeit, mit der israelbezogener Antisemitismus oftmals daherkommt, und das ist eine gute Sache, keine manipulative Kampagne.

Tom David Uhlig ist Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank.

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