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Wer zeigt, der ist
Seit Home Office und Videokonferenzen kriegt man dauernd weiße Bücherregale hinter Kolleg*innen zu sehen. Zufällig ist das nicht, eher Selbstinszenierung.
Die Leute könnten ein bisschen weniger angeben. Im Homeoffice sitzen sie bei Videokonferenzen beispielsweise vor ihren weißen Bücherregalen. Ihr Regal ist so hoch, dass die Laptopkamera es kaum erfassen kann. »So bin ich eben privat, schaut hin, aber achtet nicht auf die vielen Bücher und das moderne Mobiliar«, scheint die davorsitzende Person sagen zu wollen.
Das Corona-Homeoffice mit Skype, Zoom oder Whereby animiert zu bestmöglicher Selbstinszenierung. Wenn man schon preisgeben muss, was sich in den eigenen vier Wänden abspielt, dann volle Kanne.
Menschen mit weißen Bücherregalen: Sie haben sich im Griff. Nicht nur im Büro, auch zu Hause. Schließlich liest man in der Freizeit, blättert, sinniert. Es gibt so aufgeräumte Typen, bei denen Buch an Buch steht, nach irgendeiner möglichst einfallsreichen Methode sortiert. Ein ausgewogenes Frühstück ist ihnen wichtig, Untersetzer für Gläser auch. Intellektuelle, deren Regalbretter vollgestopft sind, hochkant und quer. Ihre Leidenschaft ist größer als die Quadratmeter Pressspan. Diese Leute rauchen in der Wohnung und interessieren sich nicht für Twitter, aber für den Deutschlandfunk.
Das ist alles kein Spaß. Bei der Videoanruf-Software Zoom kann man sich ja Bildhintergründe aussuchen, sogar ein weißes Buchregal. Aber Menschen, die wirklich eines haben, würden sich nicht vor die Golden Gate Bridge oder in die Kommandozentrale des Raumschiffs Enterprise setzen. Arbeitnehmer*innen mit diesem Mobiliar nehmen sich ernst. Und wollen von anderen ernst genommen werden. »Ihr könnt, an euren Bildschirmen sitzend, vielleicht nicht die Buchrücken erkennen, aber es ist ja wohl klar, dass da Adorno steht, und alles von Kafka, und dass Ildikó von Kürthy keinen Platz hat.«
Wären wir alle mal ehrlich, zu uns, zu den Gaffern hinter der Kamera: Wir haben gar nicht alles gelesen. So von vorne bis hinten. Nicht die geschenkten Bücher, die man niveaulos findet. Auch nicht die selbst gekauften, die zu anspruchsvoll sind, aber die man irgendwie haben muss. Das waren Empfehlungen. Oder sie wurden mal an der Uni besprochen, man quält sich eher durch. Aber nur volle Bretter sind erstrebenswert. Selbst wenn da nur die Gesamtausgabe von Meyers Lexikon hinter einem im Regal steht. Sonst ist man als Regalbesitzer*in irgendwie nichts wert.
Dabei ist das weiße Bücherregal der urbanen Beschäftigten gar nicht so hässlich. Es drängt sich weniger auf als die Eichenschrankwände von Oma und Opa. Der Minimalismus hat das Buchregal optisch verschlankt, aber ganz verbannen konnte er es nicht aus zuweilen kargen Wohnungseinrichtungen. Man braucht ja nicht viel heutzutage, Kaffeemaschine, Macbook, Kreditkarte. Weniger ist chic. Außer bei Büchern. Die durften bleiben.
Zappt man sich dieser Tage durch Online-Diskussionen von Medien und Stiftungen, sieht man, wie viele Journalist*innen so ein weißes Bücherregal haben. Was macht man, wenn man Journalistin ist und kein weißes Regal hat? Oder nur eines, das nicht bis zur Decke reicht? Oder man nicht einmal ein Arbeitszimmer hat? Ab wann wird man aus der Mittelschicht geworfen?
Das Möbelstück ist Status. Die gebildete Mittelschicht hat weiße Bücherregale, sozioökonomisch Benachteiligte haben geflieste Couchtische. Prestige oder Stigma. Manche greifen das ironisch auf, fotografieren ihren Duschvorhang oder ihre Tapete mit Büchermuster. Zu spät: Wenn Leute sich ironisch mit einem Trend beschäftigen, ist er schon zu mächtig geworden.
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