Jugendsünden in der bayerischen Provinz

Max Brym erinnert sich an seine Mao-Euphorie und das Buhlen unermüdlicher Revolutionäre

  • von Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass der Maoismus in der alten BRD Zigtausende Menschen anzog, politisierte und prägte, ist heutzutage weitgehend vergessen. Viele der Protagonisten von damals reden über ihre Jugend in einer K-Gruppe am liebsten gar nicht oder tun alles als »Jugendsünde« ab. Einige leiden noch heute an Berufsverboten, die ihre Lebensplanung beeinträchtigten. Andere haben im politischen Establishment den Aufstieg nach ganz oben geschafft, wurden Ministerpräsident, Minister, Abgeordnete oder ranghohe Funktionäre in Parteien und parteinahen Stiftungen. Nur ganz wenige bekennen sich zu ihrer Biografie und werfen nicht pauschal alles über Bord, was einst im Mittelpunkt ihres Engagements stand.

Zu jenen gehört der Münchner Max Brym, der jetzt mit dem Buch »Mao in der bayerischen Provinz« eine politische Biografie veröffentlicht hat. Er versetzt die Leserschaft in einem Zeitsprung zurück in die aufgewühlten 1970/80er Jahre und vermittelt spannende Einblicke in das unermüdliche Buhlen junger Revolutionäre um die Gunst der Arbeiterklasse. Faksimiles dokumentieren Publikationen und Betriebszeitungen, die wie warme Semmeln weggingen und auch Skandale auslösten.

Schauplatz ist das südöstliche Oberbayern, wo sich die Landkreise Altötting und Mühldorf vom Bauernland zu einer Industrieregion entwickelten und trotz CSU-Dominanz auch starke Bastionen von SPD und Gewerkschaften aufwiesen. Als Sohn eines jüdischstämmigen Textilhändlers und von seinen Erfahrungen traumatisierten Holocaust-Überlebenden war der 1957 geborene junge Brym sensibel und offen für radikale Gesellschaftskritik und revolu-tionäre Ideen. Die 1968 ausgelöste Aufbruchstimmung schlug sich bald auch in den hintersten Winkeln der Republik nieder. Nach der Auflösung von Rudi Dutsches SDS 1970 bildeten sich erste K-Gruppen.

So wurde Brym als Teenager rasch vom Maoismus angezogen, der damals oberflächlich radikaler und frischer wirkte als die sich auf eine bieder wirkende Führung in der Sowjet-union und DDR beziehende kommunistische Bewegung in der BRD. China und Albanien lagen weit weg. Chinas Parteichef Mao Tse Tung und seine »Kulturrevolution« erschienen so scheinbar unbürokratisch, rebellisch und revolutionär. Selbst der Fußballer Paul Breitner vom 1. FC Bayern München outete sich als Leser der »Peking-Rundschau«. Das Blättchen wurde ebenso wie die »Mao-Fibel« von der Bonner Botschaft der Volksrepublik China frei Haus geliefert. Auch wenn der westdeutsche Maoismus damals viele sektiererische Spaltungen erfuhr und 1975 das Foto vom Händedruck zwischen CSU-Chef Franz Josef Strauß und einem greisen Mao im Jahre 1975 bei manchen Anhängern erste Zweifel nährte, tat dies dem Vordringen des Maoismus zunächst keinen Abbruch.

Bryms Organisation »Arbeiterbund« warb um sozialdemokratische Arbeiter und versuchte im Sinne einer Einheitsfronttaktik mit Parolen wie »SPD wählen, KPD aufbauen« das Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund zu stellen. Das förderte bei linken SPD-Mitgliedern Sympathie und lieferte wertvolles Insiderwissen. Örtliche SPD-Größen verboten ihrem Nachwuchs, sich »Sozialisten« zu nennen und drängten manches kritische Mitglied raus. Der unter großen Opfern mit Schreibmaschine, Tipp-Ex und Pritt-Stift erstellte »Rote Landbote« und Extrablätter entlarvten Misstände in Betrieben vom fehlenden Klodeckel bis zum illegalen Waffenhandel.

Ein Echo fanden die jungen Maoisten auch bei Arbeitern im Bundesbahn-Betriebswerk Mühldorf am Inn. Dort setzte ein Dienststellenleiter illegal ihm untergebene Arbeiter und Material aus dem Werk für den Bau eines privaten Wohnhauses ein. Der »Rote Eisenbahner« machte dies pu-blik und trug zur Verhaftung des korrupten Beamten bei. Aus jener Zeit hat sich Brym die Freundschaft zu Ernst Tuppen erhalten, der als Arbeiter, SPD-Mitglied, Gewerkschafter und Personalrat eine treibende Kraft im Betriebswerk war und sich heute noch mit 84 für Die Linke und marxistische Ideen engagiert. Beide haben längst mit Maoismus und Stalinismus gebrochen und marschierten jüngst unter dem Motto »Heraus zum 1. Mai« Corona-konform gemeinsam durch München.

»Nicht alles, was wir damals taten, war falsch«, blickt Brym auf eine wilde Jugend zurück, in der ihm auch nichts Menschliches fremd war. »Aber wir haben uns etwas vorgemacht, als wir den Zuspruch für unsere Betriebszeitungen als Sympathieerklärungen für Mao und Albanien deuteten.«

Max Brym: Mao in der bayerischen Provinz. Südwestbuch, 300 S., br., 15 €.

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