• Berlin
  • Corona und Gefängnisse

Virusangst hinter Gittern

In Gefängnissen ist Abstand halten schwer möglich. Die Furcht vor einer Infektion ist groß

  • Andreas Fritsche und Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Anruf kommt aus der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel. Sagt zumindest der Mann am anderen Ende der Leitung. Die Hintergrundgeräusche passen dazu, und was er sagt, klingen plausibel. Er nennt seinen Namen und sein Delikt, gibt zu, dass er keineswegs unschuldig im Gefängnis sitzt. Er bittet nur, seine persönlichen Daten nicht zu veröffentlichen, damit er nicht identifiziert werden kann und Ärger bekommt. Dann schildert der Mann seine Sorgen und die anderer Gefangener, die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus haben.

Die Teilanstalt II sei sehr voll belegt, die Flure eng, erzählt er. Wenn man sich dort begegnet, könne man sich nicht mit Abstand ausweichen. 30 Leute müssten sich ein Telefon für die erlaubten Anrufe nach draußen teilen. Laufend desinfiziert werde es nicht. Und die Wärter – korrekt heißt es Justizvollzugsbedienstete – »laufen ohne Mundschutz rum«, sagt der Mann. Die könnten die Krankheit einschleppen, befürchtet er. »Wenn die Seuche hier eindringt, dann breitet sie sich wie ein Lauffeuer aus.«

Die Häftlinge wünschen sich, dass diejenigen unter ihnen mit geringen Reststrafen entlassen werden, und einige von den anderen auf andere Hafthäuser verteilt werden, damit sie nicht mehr so sehr aufeinander hocken. Der offene Vollzug beispielsweise sei im Moment komplett leer, berichtet der Häftling. Da könnten andere Gefangene untergebracht werden. Für ihn nicht nachvollziehbar: Es säßen immer noch Menschen im Knast, die nur eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten.

Sebastian Brux, Sprecher der Senatsjustizverwaltung widerspricht: So seien in der Teilanstalt II derzeit nur 233 Gefangene untergebracht – bei einer möglichen Belegung von 353. Fast ein Drittel der Haftplätze seien in der Coronakrise also frei und auch bei der Gesamtbelegung habe man mit 68 Prozent »einen historischen Tiefstand der Gefangenenzahlen«. »Zu voll kann es gar nicht sein«, so Brux gegenüber »nd«.

Die Häftlinge zur Entzerrung in den offenen Vollzug zu bringen, ist für die Justizsenatsverwaltung keine Option. Zum einen sei dieser zu 60 Prozent belegt und zum anderen seien die Gefangenen nicht umsonst in einer Hochsicherheitsanstalt untergebracht: »Wir können nicht, insbesondere aus Tegel, wo überwiegend Langstrafer mit schwerwiegenderen Taten untergebracht sind, einfach so Gefangene in den offenen Vollzug verlegen oder vorzeitig entlassen«, so Brux. »Dem würde kein Richter zustimmen und das wäre auch unverantwortlich.« Geeignete Gefangene seien bereits in den offenen Vollzug verlegt und Ersatzfreiheitsstrafer, also etwa Schwarzfahrer, entlassen worden. Haftstrafen unter drei Jahren würden nicht mehr angetreten.

Die Senatsjustizverwaltung geht davon aus, dass 25 Prozent der Gefangenen einer Risikogruppe angehören. Zu ihrem Schutz habe man ein eigenes – freiwilliges – Programm entwickelt, das vom Meiden von Gruppenaktivitäten oder Arbeitsangeboten bis zur Unterbringung in Isolierbereichen reicht. Bisher sind in Berlins Haftanstalten noch keine Coronainfektionen bekannt, für den Fall der Fälle würden jedoch 375 Haftplätze für Quarantänezwecke vorgehalten.

»Es ist richtig, dass der Abstand in Gefängnissen nicht immer eingehalten werden kann, das liegt in der Natur der Sache«, so Sprecher Sebastian Brux. Man habe die Gefangenen daher um besondere Rücksichtnahme gebeten. Dass diese von selbst Abstand halten, würden die rückläufigen Zahlen von körperlichen Auseinandersetzungen belegen. Die Bediensteten würden immer dann Mund-Nase-Schutz tragen, wenn der Mindestabstand von anderthalb Metern nicht eingehalten werden könne, in den Isolierbereichen sei der Mundschutz Pflicht.

Was das Telefon betrifft, um das sich 30 Männer drängeln, weiß der Gefangene eine Lösung: Es müssten Mobiltelefone zugelassen werden, um seine Angehörigen anzurufen, die im Moment auch nicht zu Besuch kommen dürfen. Damit die Häftlinge nicht ins Internet gehen und sich aus dem Gefängnis heraus der Cyberkriminalität schuldig machen können, schlägt er nicht internetfähige Prepaidhandys vor, wie sie etwa in Hamburger Gefängnissen ausgeteilt würden.

Auch Brandenburgs Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) fordert, dass in den Justizvollzugsanstalten »ohnehin nicht durchsetzbare Handyverbot« angesichts der Coronakrise aufzuheben. In Gefängnissen gebe es viele hineingeschmuggelte Handys, die in den Zellen versteckt werden, bestätigt der Häftling, der aus Tegel anrief.

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