Meuthen stutzt den »Flügel«

Völkische Nationalisten in der AfD sortieren sich nach dem Rauswurf von Andreas Kalbitz neu

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Tag nach seinem Sieg über die völkischen Nationalisten in der AfD bemüht sich Parteichef Jörg Meuthen um Sachlichkeit. Bei der Entscheidung, die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz für nichtig zu erklären, sei es nur um eine rechtliche und keine politische Frage gegangen. Es sei eine »schmerzhafte Entscheidung« gewesen, erklärte Meuthen am Samstag im RBB-Inforadio und betont, dass der Geschasste »sehr viel Gutes« für die Partei geleistet habe.

Wer dem AfD-Chef in den letzten Monaten aufmerksam zugehört hat, weiß, dass der Parteivorsitzende mit diesen Äußerungen versucht, seine Rolle in der Auseinandersetzung kleinzureden. Meuthen ist der prominenteste innerparteiliche Gegner des formal Ende April aufgelösten »Flügel«, Kalbitz war dessen wichtigster Netzwerker. Am späten Donnerstagabend drückte Meuthen durch, dass der AfD-Bundesvorstand sich auf seiner Sitzung am Freitag mit einem Antrag beschäftigte, der Kalbitz Parteimitgliedschaft »wegen des Verschweigens der Mitgliedschaft in der ›Heimattreuen Deutschen Jugend‹« (HDJ) mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärte. Nach dreistündiger Debatte fiel das Votum mit sieben zu fünf Stimmen bei einer Enthaltung denkbar knapp gegen Kalbitz aus.

Wie aufgeheizt die Stimmung im Parteivorstand ist, zeigte sich unmittelbar nach der Abstimmung. Neben Kalbitz verließen auch die beiden AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Alice Weidel und Alexander Gauland, sowie das Vorstandsmitglied Stephan Brandner sichtlich aufgebracht die Berliner Bundesgeschäftsstelle. Letzterer twitterte, es brauche »nun dringend und kurzfristig einen Bundesparteitag«, auf der alle Vorstandsmitglieder ihr Votum begründen. Brandners Reaktion war erwartbar. Er kommt aus dem vom Ex-»Flügel« kontrollierten Thüringer Landesverband.

Dessen Co-Vorsitzender Stefan Möller erklärte via Twitter: »Ich hänge mich mal aus dem Fenster: Der Ausschluss von Kalbitz aus der AfD wird auf dem Rechtsweg eine Beerdigung erster Klasse erhalten.« Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Auch Gauland und Weidel äußerten juristische Bedenken.

Experten sehen das ähnlich. Der Parteienrechtler Martin Morlok bezeichnete den Beschluss gegenüber der »Frankfurther Allgemeinen« als »glasklar unwirksam«, da über einen Ausschluss nicht der Vorstand, sondern ein Parteischiedsgericht zu entscheiden habe.

So oder so: Die Sachlage ist kompliziert. Mit der vielfach in den Medien angeführten Unvereinbarkeitsliste der AfD lässt sich die nachträgliche Annullierung der Mitgliedschaft nur schwer begründen. Die Auflistung existiert erst seit 2015, Kalbitz trat der AfD allerdings bereits im März 2013 bei. In der damals gültigen Satzung hieß es aber widerum, dass bei der Aufnahme in die Partei eine »laufende oder ehemalige Mitgliedschaft« in einer »als extremistisch eingestuften Organisation« anzugeben sei. Die Einordnung als »extremistisch« leitet sich dabei aus den Einschätzungen der Verfassungschutzämter ab. Jene Behörde erklärt, ihr liege eine Mitgliederliste der mittlerweile verbotenen HDJ aus dem Jahr 2007 vor, auf der eine »Familie Andreas Kalbitz« mit der Mitgliedsnummer 01330 verzeichnet sei. Kalbitz räumt bisher nur ein, dass sein Name auf einer Kontaktliste der HDJ stehen könnte, frühere Teilnahmen an Veranstaltungen der neonazistischen Organisation bestätigt er ebenfalls.

Ob und wie es für Kalbitz politisch weitergeht, werden die nächsten Wochen zeigen. Er »werde alle juristischen Möglichkeiten nutzen, um diese aus meiner Sicht politische Fehlentscheidung anzufechten«, so der 47-Jährige. Sicher ist, dass die Causa Kalbitz die AfD noch länger beschäftigen wird. Führende Köpfe seines nun ehemaligen Landesverbandes stellten sich bereits demonstrativ hinter den Herausgeworfenen. In einem am Freitagabend auf Facebook verbreiteten Video ist Kalbitz neben der Brandenburger Landes- und Fraktionsvize Birgit Bessin zu sehen. Beide rufen enttäuschte Mitglieder dazu auf, nicht die AfD zu verlassen, sondern gegen die Entscheidung des Parteivorstandes zu protestieren. »Wir stehen zu unserem Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz«, heißt es in einer Erklärung Bessins sowie des Parlamentarischen Geschäftsführers der AfD-Landtagsfraktion, Dennis Hohloch, und Andreas Galau, dem Vizepräsidenten des Brandenburger Landtags.

Wie eng sein Ex-Landesverband zu Kalbitz steht, wird sich bald zeigen. Zumindest sein Amt als Vorsitzender der AfD-Landtgsfraktion könnte der nun Parteilose zurückbekommen, sofern ihn die Mitglieder in dieser Position bestätigen. Es wäre ein deutliches Signal an die Parteispitze, allen voran an den Co-Chef Meuthen, dem im innerparteilichen Machtkampf unruhige Zeiten bevorstehen. Bereits am Freitag gab es Stimmen aus seinem Landesverband Baden-Württemberg, die ein Parteiauschlussverfahren gegen ihn fordern. Kalbitz Unterstützer formieren sich nun. »Es kann nicht sein, dass verdiente Parteimitglieder so aus der Partei entfernt werden«, kritisierte etwa der AfD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt.

Interessant ist, dass weder Kritiker, noch Kalbitz-Anhänger auf die längst belegten Bezüge des nun Rausgeworfenen zu mehreren rechtsextremen Gruppen eingehen. Besonders Meuthens Meinungswandel ist interessant. Jahrelang hatte er sich mit dem »Flügel« gut gestellt, Kalbitz in einer ARD-Doku 2019 als »hochgebildeten, hochreflektierten Menschen« gelobt und bestritten, dass »wir es hier mit einem Rechtsextremen zu tun haben.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.