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Schauspiel statt Derby
Die Fußballer von Hertha BSC gehen mit Vorteilen in das Duell mit dem 1. FC Union Berlin
Natürlich ist alles anders. Während im November das erste Stadtderby in der Bundesliga zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC nahezu ganz Berlin und auch große Teile Fußballdeutschlands elektrisiert hatte, ist vor dem Rückspiel an diesem Freitag im Olympiastadion fast nichts zu spüren. Das macht vor allem die Aufgabe für den Aufsteiger aus Köpenick nicht einfacher.
Ein Problem weniger haben beide Trainer. Weder Herthas neuer Chefcoach Bruno Labbadia noch Unions Übungsleiter Urs Fischer müssen ihre Spieler beruhigen. Während sonst vor solch emotionsgeladenen Partien immer die Rede davon ist, dass sich die Mannschaften nicht von der hitzigen Atmosphäre auf den Rängen beeinflussen lassen dürfen, sorgt diesmal nur das Corona-Virus für Ansteckungsgefahr. »Beim letzten Derby wurde viel geschrieben, viel provoziert. Jetzt empfinde ich es als ruhig«, beschreibt Urs Fischer seine Wahrnehmung.
Vom geringen Interesse zeugt auch die Haltung der aktiven Fans beider Vereine. »Dieses ganze Schauspiel hat nichts mit dem Fußball zu tun, den wir lieben und unterstützen«, erklärte der Förderkreis Ostkurve vor dem Derby. Die Vereinigung der Hertha-Fans kritisierte dabei erneut die Fortsetzung der Saison. So sei weiterhin offen, »ob mit den Geisterspielen das Überleben der Vereine oder doch schlichtweg die Rettung der bestehenden Gehaltsstrukturen in Millionenhöhe gesichert werden soll«. Nicht nur das Spiel gegen Union, die ganze restliche Saison nach dem weiterhin umstrittenen Konzept der Deutschen Fußball Liga wird boykottiert: »Wir werden in keinster Weise daran teilnehmen.« Ebenso entschieden hatten sich zuvor schon die großen Ultragruppen des 1. FC Union geäußert. Beide Fanlager stellen sich damit nicht nur gegen die DFL, sondern auch gegen das Verhalten ihrer Vereine.
Sportlich spricht im Berliner Duell einiges für Hertha BSC. Mit dem 3:0-Auswärtssieg am vergangenen Sonnabend in Hoffenheim bewies Bruno Labbadia, dass er die Mannschaft nach dem dritten Trainerwechsel in dieser Saison und den Turbulenzen um den Abgang von Jürgen Klinsmann in den Griff bekommen hat. Auch die Meinung einiger Experten macht Hertha Hoffnung. Vor dem Neustart erklärten Sportwissenschaftler, dass es jetzt noch mehr auf die Qualität der Einzelspieler ankommen würde. Weil der Spielrhythmus fehlt, die Vorbereitungszeit gering war und vor allem das Mannschaftstraining viel zu kurz kam. Nimmt man den Marktwert beider Teams als einen Indikator, führt Hertha BSC mit rund 188 Millionen Euro zu 40 Millionen Euro.
Der erste Geisterspieltag am vergangenen Wochenende bestätigte die Experten. Sportliche Parameter wie Laufleistung, Sprintfähigkeit oder Zweikampfwerte waren ligaweit auf dem Niveau der Zeit vor der Saisonunterbrechung. Als Sieger gingen aber meist die qualitativ besser besetzten Teams vom Platz: Wolfsburg in Augsburg, Mönchengladbach in Frankfurt, Leverkusen in Bremen, München bei Union.
Dortmunds klarer Erfolg gegen Schalke war ein weiterer Beweis der These, sogar ein noch stärkerer. Denn das 4:0 des BVB im Revierderby war der einzige Heimsieg am 26. Spieltag. Die Mannschaften also, die sonst mehr über Kampf, Leidenschaft, Teamgeist, Emotionen und mit der großen Unterstützung der Fans ihre Punkte holen, haben es jetzt schwerer. Dafür spricht auch, dass es insgesamt weniger Offensivaktionen und Tore als in den vorausgegangenen 25 Spieltagen gab - die stärker besetzten Mannschaften treffen trotzdem.
Bruno Labbadia erwartet gegen Union ein »intensives Spiel«. Ein Heimspiel hat er im Olympiastadion noch nicht erlebt. Einen Vorteil scheint Hertha BSC darin eh nicht zu sehen, so oft wie sich der Klub über die Nachteile im großen Rund mit blauer Laufbahn beschwert hat. Die Zahlen dieser Saison bestätigen das: Nur zwölf von bisher insgesamt 31 Punkten hat Hertha in Charlottenburg erspielt. Die Heimspiel-Erkenntnis des ersten Geisterspieltags kommt beim Blick auf den Kampf um die Berliner Stadtmeisterschaft also nicht zum Tragen. Dafür sorgt auch der Gegner. Der 1. FC Union konnte nur drei von 13 Auswärtsspielen gewinnen. Er lebt von der Stimmung in der Alten Försterei, die er in dieser Saison schon sechsmal als Sieger verließ. Aber auch auswärts wird die vor allem zweikampfstarke Mannschaft von ihren Fans getragen. Trainer Fischer blickt jedenfalls zurückhaltend auf das Derby: »Siege kann und möchte ich nie versprechen - was ich aber versprechen kann ist, dass wir alles daran setzen werden, um erfolgreich zu sein.«
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