Wenn die AfD droht, den Vorsitz im Stadtrat zu bekommen

Extrem rechte Partei stellt die stärkste Fraktion im Rathaus von Gera - einen wichtigen Chefposten soll sie aber nicht bekommen

  • Andreas Hummel
  • Lesedauer: 4 Min.

Gera. Julian Vonarb (parteilos) hat gleich zwei Posten für die Stadt Gera. Denn seit einem Jahr hat der Oberbürgermeister auch den Stadtratsvorsitz inne und leitet so die Sitzungen des kommunalen Parlaments. Bei der Wahl vor einem Jahr (26. Mai) hatte die AfD 28,8 Prozent der Stimmen geholt und die Linke als stärkste Kraft im Stadtrat abgelöst. So durfte sich die extrem rechte Partei Hoffnung auf den Stadtratsvorsitz machen. Doch das hat sich schon wenige Wochen später zerschlagen. Seither ist das Ringen um dieses Amt zur Hängepartie geworden - Ausgang offen.

In Gera galt bisher dasselbe Prinzip wie im Landtag: Die stärkste Fraktion hat das Vorschlagsrecht für den Vorsitz des Parlaments. So ist es in der Hauptsatzung der Stadt seit 2014 geregelt - und auch in den Jahren zuvor wurde es schon so gehandhabt.

Doch kurz vor der ersten Sitzung nach der Wahl monierte das Landesverwaltungsamt diesen Passus im vergangenen Jahr: Es spreche einiges dafür, dass diese Regelung nicht mit der Thüringer Kommunalordnung vereinbar ist. Die enthalte zwar gar keine Aussage, wer einen solchen Vorschlag unterbreiten dürfe, so die Kommunalaufsicht. »Allerdings dürfte es sich von selbst verstehen, dass das Recht, einen solchen Vorschlag zu unterbreiten, jedem Mitglied des Gemeinderates zusteht.«

Regelung mit »Beigeschmack«

Das Agieren stößt nicht nur in der AfD-Fraktion auf Kritik. Als »sehr windig« bezeichnet es Fraktionschef Harald Frank und sieht darin einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Auch CDU-Stadtrat Andreas Kinder spricht von einem »Beigeschmack«, den das Ganze habe. »Ich kann nicht verstehen, warum das Landesverwaltungsamt einen Monat vor der Kommunalwahl die Satzung noch bestätigt hat, sie dann aber plötzlich nicht mehr rechtmäßig sein soll.«

Dass das Problem auch andere Thüringer Kommunen betrifft, glaubt der Sprecher des Landesverwaltungsamtes, Adalbert Alexy, nicht. Doch nehme die Behörde auch nicht ohne Anlass oder Hinweis alle Satzungen der einzelnen Gemeinden und Landkreise unter die Lupe. Die Städte Erfurt und Jena etwa haben kein konkretes Vorschlagsrecht in ihren Hauptsatzungen geregelt.

Ein Weg, den auch Gera gehen wollte, um die Misere zu lösen. Die Änderung, wonach der Stadtrat den Vorsitzenden und seine Stellvertreter schlicht »aus seiner Mitte« wählen sollte, erhielt im Dezember zwar eine Mehrheit, aber nicht die erforderliche Zustimmung von zwei Drittel der Stadträte. Deswegen hat Vonarb den Beschluss beanstandet, was nun wiederum das Landesverwaltungsamt zu prüfen hat.

Dass bisher keine Einigung erzielt werden konnte, liegt nach Ansicht Vonarbs daran, dass der Position des Vorsitzenden auch eine größere symbolische Bedeutung beigemessen wird. In anderen Fällen - etwa bei der Besetzung der Ausschüsse - sei alles unkomplizierter über die Bühne gegangen. So stellt die AfD den Vorsitzenden des Haushalts- und Finanzausschusses. Er selbst müsse und wolle ohnehin mit allen Fraktionen gleich zusammenarbeiten, betont Vonarb. »Jeder, der im Stadtrat sitzt, ist mandatiert durch die Bürger unserer Stadt.«

Hat die AfD überhaupt fähiges Personal?

Linke-Fraktionschef Andreas Schubert wirft der AfD vor, auf Formalien herumzureiten, statt den Weg für eine Satzungsänderung und damit eine Wahl des Vorsitzenden frei zu machen. Zwar sei das Amt nicht an ein Parteibuch gebunden, betont Schubert, der auch dem Landtag angehört. Er sehe aber niemanden in der AfD-Fraktion, der als Vorsitzender des Stadtrates die Scharfmacher der eigenen Reihen in den Sitzungen zur Ordnung rufen würde.

So muss Vonarb weiter die Doppelfunktion meistern. Christdemokrat Kinder meint, er habe sich in die Aufgabe »reingefuchst«; trotzdem hoffe er auf eine Lösung der Misere, da sich nur so das Kommunalparlament selbst regeln könne. Auch Schubert sieht Probleme in der Doppelrolle, wenn der Stadtchef in der Sitzung Vorschläge der Verwaltung einbringt und selbst das Wort ergreift, aber auch auf Zwischenrufe und Geschäftsordnungsanträge reagieren muss. Vonarb selbst hofft ebenso auf ein Ende der Hängepartie: »Ich habe die Erwartung, dass wir baldmöglichst eine rechtsverbindliche Lösung finden können.« dpa/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.