Das Ding, das ins Haus will

Horrorfilm um elementare männliche Ängste und Arthouse-Beziehungsdrama in einem: »After Midnight«

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Schriftsteller Dietmar Dath hat anhand der weltbesten Serie, »Buffy the Vampire Slayer«, in seinem Buch »Sie ist wach« darauf hingewiesen: Die fantastischen Wesen des Horror- und des Science-Fiction-Genres als Metaphern für weltliche Angelegenheiten und Phänomene zu begreifen, ist naheliegend und produktiv. Nur muss man halt auch etwas damit anstellen, als Filmemacher*in. Wenn das Alien einfach nur »das ist der Immigrant« bedeutet und der Werwolf irgendwas mit animalischer, unterdrückter Sexualität, wird es dem Publikum schnell fad.

Der sehr gelungene, na ja, Horrorfilm »After Midnight« entwickelt eine schöne, weil semantisch offene Variante der Monster-als-Metapher-Idee. Das Beste an diesem Film ist, dass er kein Horrorfilm ist, aber irgendwie doch, und sich vielleicht sogar näher am Kern des Genres bewegt als viele Horrorfilme, die ganz ungebrochen den Genrekonventionen entsprechen. Immerhin geht es um ganz elementare männliche Ängste (Ehe, Kinder).

In den langen Passagen, in denen der Film »After Midnight« nicht als Horrorfilm agiert, entfaltet er eine Beziehungsgeschichte (was etwas anderes als eine Liebesgeschichte ist), die man genauso gut im Modus des intelligenten, aber nicht allzu aufregenden Middlebrow-Arthouse-Kinos hätte erzählen können: Hank (Regisseur und Drehbuchautor Jeremy Gardner) und Abby (Brea Grant) sind seit über zehn Jahren zusammen. Sie leben in einem Haus im Wald und besitzen eine Bar in der nächstgelegenen verschlafenen Kleinstadt. Hank genügt das, er geht jagen in den Wäldern und mit seinem etwas trotteligen besten Freund saufen. Abby ist dieses Leben zu wenig. Sie braucht Abstand und verschwindet für ein paar Wochen, ohne Hank zu sagen, wohin.

So weit, so gut. Bald wird es unbehaglich. Nachts schlägt etwas an die Tür des Hauses, in dem Hank nun alleine lebt, und will hinein. Der Verlassene schläft auf der Couch im Hausflur, mit dem Gewehr im Arm. Dass da ein Monster in den Wäldern umherstreift, glaubt ihm niemand.

Der Film verfährt in jedem seiner Details sehr bewusst und genau. Man kann eigentlich nichts über die schön subtile, vielschichtige Weise sagen, in der der Film seine Geschichte erzählt, ohne schlimm zu spoilern. Die Geschichte und des Rätsels Lösung bauen sich vorsichtig auf und laufen auf einen kathartischen What-the-fuck-Moment zu.

Aber auch auf dem Weg dahin gibt es viel zu entdecken. Wie Gardner und sein Co-Regisseur Christian Stella in langen Einstellungen, Rückblenden und Dialogsequenzen ein komplexes Bild von einer stinknormalen, partiell verkorksten Beziehung zeichnen, das ist schon ausgesprochen gut, auch wenn er sich am Ende mit seinem alles in allem gar nicht so sympathischen Helden verbrüdert. Gut eben auch, weil all das, spätestens nachdem einmal ein Monsterarm durch die geschlossene Haustür gegrapscht hat, in einer unterschwelligen, konstanten Anspannung erzählt wird. Und lustig ist der Film ebenfalls, genau in den Momenten, in denen er es sein will.

Was bleibt noch zu sagen? Produziert haben Justin Benson (der auch den mit Hank verschwägerten Kleinstadtpolizisten spielt) und Aaron Moorhead, die wiederum als Regisseure und Autoren vor sechs Jahren mit »Spring« einen für seine Brillanz nie wirklich gewürdigten schwerst romantischen Horrorfilm (Horror wieder im allerweitesten Sinne) vorgelegt haben. »After Midnight« schließt hier an, auch wenn er atmosphärisch ganz anders gelagert ist.

Außerdem wichtig: der pandemiegerechte Vertriebsweg, bei dem die zurzeit geschlossenen Kinos mitgedacht wurden. Der Verleih Drop Out Cinema verteilt fünf Euro pro Stream an Kinos, die »After Midnight« später in diesem Jahr zeigen. Am 29. Mai erscheint der Film auf DVD und Blu-Ray. Ab 16. Juli soll er in den Kinos laufen.

»After Midnight«, USA 2019. Regie: Jeremy Gardner, Christian Stella; Darsteller: Jeremy Gardner, Brea Grant, Henry Zebrowski. 83 Min.

https://vimeo.com/ondemand/ aftermidnight3

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