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»Ground Zero« in Afghanistan
Konservatives »Denk-Zentrum« plante USA-Krieg gegen die Taleban - Saddams Sturz nächstes Ziel
Die 1973 gegründete Heritage Foundation, die ihren Sitz in Washington hat, definiert sich selbst als »Think Tank« für konservative Politik. Seit der Regierungszeit von Ronald Reagan hat sie zunehmend Einfluss auf die Führung der Republikaner und Teile des Militär- und Machtapparates gewonnen. Im Zentrum der Aktivitäten der Heritage Foundation seit dem 11. September steht die Forderung, nicht nur gegen Osama bin Laden und seine afghanischen Freunde vorzugehen - dieses Kapitel ist inzwischen schon weitgehend abgeschlossen -, sondern die vorzügliche Gelegenheit auch zur Klärung der Verhältnisse in Irak zu nutzen. »Not just Osama, but Saddam as well«, wie es James Phillips in einer Stellungnahme am 18. Oktober 2001 formulierte.
Angesichts des erwiesenen realen Einflusses der Heritage Foundation auf die Politik der Bush-Regierung ist es sinnvoll, sich deren Vorschläge und Forderungen genau anzusehen. Im Folgenden wird zunächst die schon vor zwei Jahren von der Foundation entwickelte »Neue USA-Politik für Afghanistan« mit dem als Reaktion auf die Anschläge von New York und Washington nur notdürftig kaschierten politisch-militärischen Vorgehen nach dem 11. September 2001 verglichen. Vor diesem Hintergrund werden anschließend die Vorschläge und Forderungen der Foundation für die US-amerikanische Irak-Politik betrachtet.
Die Vision der Heritage Foundation
In seinem Artikel vom Juli 2000 zeichnete James Phillips zunächst die bisherige Afghanistan-Politik der USA nach. Zwischen 1980 und 1989 seien etwa drei Milliarden Dollar - diese Summe ist vermutlich sogar noch zu niedrig veranschlagt - an Wirtschafts- und Militärhilfe an den afghanischen »Widerstand« geflossen. Der pakistanische Geheimdienst ISI habe dabei die entscheidende Verteilerfunktion gehabt und mehr als 70 Prozent der US-amerikanischen und saudi-arabischen Hilfe an extremistische Mujaheddin-Gruppen weitergeleitet. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 und dem Sturz des Kabuler Präsidenten Najibullah 1992 habe sich die USA-Regierung zunehmend uninteressiert an den Vorgängen in Afghanistan gezeigt und damit, so die Kritik von Phillips, die Früchte der »erfolgreichen« Politik der 80er Jahre wieder verloren.
Die Clinton-Regierung habe die Taleban zunächst völlig falsch eingeschätzt, indem sie sie als stabilisierende Kraft für die afghanische Innenpolitik und als Gegengewicht gegen den Iran bewertete. Das von Clinton 1996 verhängte Waffenembargo gegen alle afghanischen Fraktionen habe letztlich die Taleban begünstigt, da diese von Pakistan massiv versorgt worden seien. Das Verhalten der USA-Regierung sei damals auch von der Hoffnung beeinflusst worden, mit Hilfe eines stabilen Taleban-Regimes ein Pipeline-Projekt zu realisieren, das Öl und Erdgas aus den früheren mittelasiatischen Sowjetrepubliken durch Afghanistan nach Pakistan leiten sollte. Erst 1999 habe die Clinton-Regierung erstmals Sanktionen gegen das Regime wegen der Zusammenarbeit mit bin Laden verhängt.
Das Taleban-Regime schätzte Phillips schon damals als schwach ein - offenbar zu Recht, wie sich nach dem 11. September gezeigt hat: Die Truppen würden sich mehr durch religiösen Eifer als durch militärische Fähigkeiten auszeichnen. Sie hätten im Bürgerkrieg schwere Rückschläge erlitten. Die anfängliche Unterstützung der Paschtunen schwinde; paschtunische Kämpfer verließen die Taleban-Truppen und zögen sich wieder auf ihre Stammesgebiete zurück. Traditionelle Stammes- und Regionalprobleme lösten die Einheit der Taleban auf. Ihr rigider Fundamentalismus, verbunden mit ihrer Verwaltungs-Inkompetenz sowie ihrer Vernachlässigung der öffentlichen Dienste und der Infrastruktur, entfremde sie zunehmend von der Bevölkerung.
Starker Druck auf Islamabad
Da das Regime in hohem Maß von pakistanischer Hilfe abhängig sei, befürwortete Phillips starken Druck auf Islamabad, um die Einstellung jeder Form von Unterstützung zu veranlassen. Pakistan sei zwar, historisch gesehen, ein wichtiger Partner im Kalten Krieg gewesen, aber nach dem sowjetischen Rückzug aus Afghanistan hätten sich die Interessen der USA und Pakistans erheblich auseinander entwickelt. Um den erforderlichen Druck auszuüben, sollten die USA die katastrophale Wirtschaftslage (38 Milliarden Dollar Auslandsschulden) und Pakistans zunehmende internationale Isolierung ausnutzen. Washington solle sein Votum beim IWF für neue Anleihen von der Einstellung jeder Unterstützung für die Taleban abhängig machen. Außerdem sollten die USA mit der Option drohen, sich künftig stärker auf Indien zu orientieren, und sogar in Aussicht stellen, Pakistan bei mangelnder Kooperationsbereitschaft als »staatlichen Unterstützer des Terrorismus« zu brandmarken.
Zweitens forderte Phillips: »Die USA sollten mit Russland, der Türkei und Afghanistans mittelasiatischen Nachbarn zusammenarbeiten, um die Nordallianz zu unterstützen.« Insbesondere der tadschikische Mujaheddin-Führer Massud - der jedoch wenige Tage vor dem 11. September ermordet wurde - verdiene Unterstützung. Massuds effektive Organisation sollte zur Verteilung US-amerikanischer Hilfe an die Gruppierungen des Anti-Taleban-Bündnisses benutzt werden. Massuds Streitkräfte sollten mit panzerbrechenden Waffen, leichter Artillerie, Mörsern und Flak-Geschützen, ebenso wie mit Lkw und Hubschraubern zum Truppentransport ausgerüstet werden. Auch finanzielle Hilfe sollten sie erhalten.
Drittens befürwortete Phillips die Schaffung einer regionalen Koalition gegen das Taleban-Regime. Diese sollte Russland, Iran, Usbekistan und Tadschikistan einbeziehen. Auch China und die Türkei, die ebenfalls Probleme mit islamistischen Gruppierungen haben, sollten in diese Koalition einbezogen werden. Pakistan, das mit Hilfe der Taleban seine Hegemonie über Afghanistan aufrecht zu erhalten hoffe, werde sich der angestrebten Lösung wahrscheinlich widersetzen. Die US-Regierung sollte daher eng mit den Verbündeten Pakistan, Saudi-Arabien und China zusammenarbeiten, damit diese ihren Einfluss im Sinn der Washingtoner Zielsetzung geltend machten.
Weitere Vorschläge von James Phillips: Die USA-Regierung sollte die Taleban zur terroristischen Organisation erklären und ihr von 1985 bis 1994 betriebenes Programm grenzüberschreitender »humanitärer Hilfe« wieder aufnehmen, aber diesmal nicht von Pakistan, sondern möglichst von Tadshikistan aus. Die Hilfe müsste ausschließlich den nicht von den Taleban kontrollierten Gebieten zugute kommen, um örtliche Führer zum Überlaufen zu motivieren. Die USA sollten die Nord-
allianz als legitime Regierung Afghanistans anerkennen und die Wiederöffnung der afghanischen Botschaft in Washington durch einen diplomatischen Vertreter der Nordallianz gestatten.
Im Vergleich mit der Entwicklung nach dem 11. September fällt als wesentlicher Unterschied die äußerst starke Gewichtung und Bevorzugung der Nordallianz in den Vorschlägen der Heritage Foundation auf. Zwar sah auch James Phillips schon damals eine Einbeziehung des 1973 gestürzten Königs Zahir Schah und seines römischen Exil-Hofstaates vor, insbesondere um die Mitnahme der paschtunischen Stammesführer zu erleichtern. Aber da Phillips Vorschläge nicht von einer direkten Militärintervention der USA ausgingen, wäre nur dem Kampf der afghanischen Anti-Taleban-Streitkräfte entscheidende Bedeutung zugekommen - und dies hätte politisch honoriert werden müssen. Erst die Militärintervention der USA erlaubte es, die Nordallianz in ihrer Bedeutung zu reduzieren und Afghanistan eine sehr widersprüchlich zusammengesetzte »Koalitionsregierung« von außen aufzuzwingen - allerdings mit dem darin enthaltenen Konfliktpotenzial.
Mit der Opposition gegen Bagdad
Die Ausnutzung bürgerkriegsartiger Fraktionierungen und regionaler zwischenstaatlicher Konflikte stellt sich nach dem durchschlagenden Blitzerfolg in Afghanistan als Modell für künftiges Vorgehen dar. Dies rückt Somalia an die erste Stelle sämtlicher Kandidaten für die nächste militärisch-politische Aktion der USA und ihrer Verbündeten, da die Situation in Somalia strukturell die größten Ähnlichkeiten zur Lage in Afghanistan aufweist. Für die Heritage Foundation hat aber traditionell der Sturz Saddam Husseins die höchste Prioritätsstufe. Sie ist damit das ideologische Zentrum einer sehr starken Lobby in den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Machtzentren der USA, die seit Ende des Golfkriegs 1991 permanent und unermüdlich bemüht ist, dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen - ähnlich dem römischen Politiker Cato, der den Senat so beharrlich mit seinem »Übrigens meine ich, dass Karthago zerstört werden muss« konfrontierte, dass er schließlich seinen Willen bekam.
In einer Reihe von Artikeln, meist von James Phillips verfasst oder mitverfasst, erhebt die Heritage Foundation schon seit Jahren die Forderung nach einer »aktiven, langfristigen Strategie zur Beendigung der Herrschaft von Saddam Hussein«. Um dies zu erreichen, sollten die USA ihre Unterstützung des »Irakischen Nationalkongresses« (INC - eine 1991-92 gegründete Dachorganisation der Opposition) massiv ausweiten und es ihm ermöglichen, sich als Exilregierung zu etablieren. Über die schon seit Jahren gewährte zivile Finanzhilfe für den INC hinaus sollten auch Waffenlieferungen ermöglicht werden. Die Türkei, Saudi-Arabien, Kuwait, Jordanien und Iran müssten von der USA-Regierung gedrängt werden, ihre Unterstützung des INC zu verstärken.
Dort sind in erster Linie kurdische Organisationen des Nordirak und schiitische Gruppierung des Südirak vertreten. Allerdings gestaltet sich die Zusammenarbeit höchst problematisch und widersprüchlich, was zu schweren Rückschlägen und somit auch zur Zurückhaltung der USA gegenüber dem INC geführt hat. Lediglich die kurdischen Organisationen verfügen über gewisse Rückzugsräume auf irakischem Territorium. Allerdings sind diese seit 1996 sehr eingeschränkt, weil die irakische Armee damals unter Ausnutzung der Interessenkonflikte zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) eine erfolgreiche Gegenoffensive starten konnte. Damals verlor der Nationalkongress seinen territorialen Rückhalt im Irak, er residiert seither im Londoner Exil.
Die Heritage Foundation fordert, zusätzlich zu den schon 1991 von den USA und Großbritannien deklarierten »Flugverbotszonen« auch »Fahrverbotszonen« im Norden und Süden Iraks zu schaffen. Das würde bedeuten, den irakischen Truppen dort überhaupt jede Bewegung und Aktivität bei Androhung von Luftangriffen zu verbieten. Dann könnte im Nordirak, unter dem Schutz der bewaffneten kurdischen Organisationen, eine Exilregierung des INC gebildet und anschließend die einschneidenden Sanktionen gegen Bagdad für die von der Opposition kontrollierten Gebiete aufgehoben werden. Mit Ausrüstungshilfe der USA sollten die kurdischen und schiitischen Oppositionsgruppen die Fähigkeit zu wirksamen Guerilla-Aktionen gegen die im Norden und Süden gelegene irakische Ölindustrie erlangen.
Washingtons Truppen nach Irak
Da dies zu einem militärischen Sieg aber noch nicht ausreichen würde, befürwortet die Heritage Foundation außerdem systematische Angriffe der USA mit Bomben und Cruise Missiles gegen die Elite-Einheiten der irakischen Armee, gegen die Zentralen des Geheimdienstes und anderer Sicherheitsdienste sowie gegen Waffenfabriken, Kommandozentralen und sonstige »strategische Ziele«. Vorwände zur Begründung solcher Angriffe sind, wie seit 1991 immer wieder praktiziert, jederzeit leicht zu konstruieren. »Unter den richtigen Umständen, vielleicht zur Unterstützung eines Aufstands« sollten die USA schließlich »sogar den Einsatz von Bodentruppen« erwägen, »um den Job, Saddam zu stürzen, zum Abschluss zu bringen«.
Ein wesentlicher Faktor, der bisher der Verwirklichung dieser Vorschläge entgegen steht, ist der desolate Zustand des INC. Zum einen ist der Konflikt zwischen der KDP und der PUK immer noch nicht wirklich beigelegt, auch wenn beide Seiten offiziell gewisse Verhandlungserfolge bestätigen - und sei es nur, um sich die Geneigtheit der mächtigen und zahlungskräftigen US-amerikanischen Sponsoren zu erhalten.
Probleme gibt es auch mit der Einbeziehung der schiitischen Oppositionsgruppen. Zum einen bereitet deren ideologische Nähe zum Iran, von dem sie auch Unterstützung erhalten, vielen USA-Politikern noch Unbehagen. Darüber hinaus wirkt die Vorstellung einer stark schiitisch beeinflussten Regierung in Bagdad - die Bevölkerungsmehrheit des Irak ist schiitisch - abschreckend auf den Hauptverbündeten der USA in der Region, Saudi-Arabien. Allerdings ist daran zu erinnern, wie problemlos sich Washington inzwischen über die Einwände ihrer pakistanischen Partner gegen die »Neuregelung« der Verhältnisse in Afghanistan hinweggesetzt hat.
Anfang Januar meldeten Nachrichtenagenturen, die USA-Regierung habe »wegen schludriger Buchhaltung« ihre Finanzhilfe für den INC eingestellt. Diese Behauptung ist jedoch voreilig. Tatsächlich hat man vom Nationalkongress bestimmte Erläuterungen über die Verwendung der Mittel gefordert, und der INC ist mit der Abgabe dieser Erklärungen zeitlich im Verzug. Auch gibt es Streit über Höhe und Verwendung der Mittel. Die 97 Millionen Dollar, die durch den im Oktober 1998 vom USA-Kongress verabschiedeten Iraq Liberation Act (ILA) grundsätzlich freigegeben wurden, sind bisher erst zum klei-
neren Teil wirklich zur Verfügung gestellt worden. Von der Möglichkeit, der irakischen Opposition Rüstungsgüter zur Verfügung zu stellen, wurde bisher ebenso wenig Gebrauch gemacht wie von der Option, irakischen Organisationen militärische Ausbildungshilfe zu geben.
Auf der anderen Seite hat der INC, zu dem es in der irakischen Opposition keine vergleichbare Alternative gibt, eine sehr starke und aktive Lobby im Repräsentantenhaus und im Senat. Sie würden es jedenfalls nicht zulassen, ihn einfach fallen zu lassen. Erst Anfang Dezember wieder hatten zehn einflussreiche Abgeordnete beider Parteien Präsident Bush öffentlich aufgefordert, Saddam Hussein »lieber früher als später« zu stürzen und zur Erreichung dieses Ziels die Unterstützung des INC zu verstärken.
Die Stellungnahmen der Heritage Foundation sind unter www.heritage.org im Internet zu finden.
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