Das Rennen hat begonnen

Die Beträge sind schwindelerregend: Mit Billionensummen wollen alle Industriestaaten das Wirtschaftswachstum fördern. Doch die Bedingungen dafür sind schlecht.

Die EU hat nachgelegt: 750 Milliarden Euro will sich Brüssel leihen, um die europäische Wirtschaft aus der Krise zu hieven. Die Summe addiert sich zu den bereits beschlossenen Maßnahmen und zu den Rettungsaktionen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten - die Bundesregierung wird am Dienstag ein weiteres Konjunkturprogramm vorstellen. Die Europäer folgen damit den USA und Japan, die ihre Ausgaben um Billionen erhöhen. Angesichts der dadurch steigenden Schulden geht es den Regierungen nicht nur darum, die Wirtschaft zu stützen. Vor allem soll langfristig höheres Wachstum erzielt werden, um aus den Schulden herauszuwachsen. Der Haken: Ungenügendes Wachstum war bereits vor der Coronakrise das zentrale Problem.

Die großen Industriestaaten reizen derzeit ihre Kreditwürdigkeit aus, die Summen sind schwindelerregend: Im US-Staatshaushalt klafft dieses Jahr ein Loch von 4000 Milliarden Dollar, die Demokraten fordern weitere 3000 Milliarden gegen die Krise. Japan hat diese Woche seine Anti-Krisen-Maßnahmen auf umgerechnet 2000 Milliarden Euro aufgestockt. Die EU-Kommission legt nun zusätzlich zu ihrem 1100-Milliarden-Haushalt und den bereits beschlossenen Stützungsprogrammen über 540 Milliarden weitere 750 Milliarden auf den Tisch. Die Haushaltsdefizite der EU-Staaten werden dieses Jahr auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und die Schulden über 100 Prozent des BIP steigen.

Finanzierung kein Problem

Die Finanzierung dieser Kredite ist derzeit kein Problem, denn die Zinsen sind extrem niedrig. Dennoch stehen die Standorte vor der Frage, wie sie ihre Schuldenberge dauerhaft solide machen. Steuererhöhungen werden derzeit von allen Regierungen ausgeschlossen, ebenso deutliche Ausgabensenkungen, da dies die Konjunktur schwächen würde. Und auf die kommt es an: »Der ideale Weg, um für die Krisenkosten zu zahlen, wäre mehr Wachstum zu generieren«, sagte James Athey vom Investmenthaus Aberdeen Standard. »Unglücklicherweise aber wird das wohl sehr schwierig.« Denn die Bedingungen sind denkbar schlecht.

Die Coronakrise drückt keine Delle in einen laufenden Wirtschaftsboom. Bereits in ihrem Vorfeld war es bergab gegangen. 2019 neigte sich ein jahrelanger Aufschwung seinem Ende zu, die globale Industrieproduktion sank, zu Beginn dieses Jahres war vor einer möglichen Rezession die Rede. Angesichts hoher Staatsschulden hatten Warnungen vor einer neuen Finanzkrise Konjunktur. Das globale Wirtschaftswachstum hing an den großen Zentralbanken, die mit Billionen-Anleihekäufen die Zinsen niedrig und die Schulden finanzierbar hielten.

Die Coronakrise verschärft die Situation: In Japan und den USA wird die Wirtschaftsleistung dieses Jahr - trotz billionenschwerer Stützungsaktionen - um sechs Prozent einbrechen, in der EU wohl um zehn Prozent. Um gegenzusteuern, wollen die Staaten nun das schaffen, was ihnen zuvor bereits gefehlt hat: mehr Wachstum. »Der einzige vernünftige Weg aus hohen Schulden oder aus der Überschuldung ist mehr wirtschaftliche Dynamik«, sagte Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW. »Das ist die Lehre aus der globalen Finanzkrise.« Damit wird zugestanden, dass die staatlichen Hilfen nicht bloß die Unternehmen über eine vorübergehende Coronakrise hinüberretten, nach der dann alles wieder gut wird. Sondern dass nach der Krise der Kampf um das Wachstum erst so richtig beginnt.

Ökonomen verweisen darauf, dass dieser Kampf gewonnen werden kann. Denn die hohen Schulden seien aufgrund der niedrigen Zinsen derzeit keine Gefahr. Gleichzeitig müssten die Regierungen bei ihren Ausgaben darauf achten, ihr Wachstum mit zusätzlichen Investitionen anzukurbeln.

Das Problem: Zwar sind die niedrigen Zinsen einerseits eine gute Ausgangsbedingung, sie sind allerdings selbst eine Folge des schwachen Wachstums. Zudem ist der Erfolg der staatlichen Investitionsoffensive unsicher. Denn die Regierungen können bloß die Bedingungen des Wachstums gestalten, nicht aber das Wachstum selbst. Das hängt vom Markt und seinen Konjunkturen ab. So ist zwar derzeit sicher, dass die staatliche Förderung das BIP dieses und nächstes Jahr massiv stützen wird. Ob daraus aber langfristig neue Wachstumspotenziale entstehen, darauf kann nur spekuliert werden.

Sichtbar wird dieses Problem derzeit am Beispiel der Autoindustrie. Sie war aufgrund eines überfüllten Weltmarktes und strengerer Emissionsauflagen bereits im vergangenen Jahr in der Krise. Der chinesische Markt, lange der Wachstumsmotor der Welt, schrumpfte und wird dies auch 2020 tun. Die Regierungen begeben sich nun in einen Subventionswettlauf um den Markt der Zukunft: Elektroautos. Frankreich hat diese Woche seinen Autoherstellern ein Förderprogramm über acht Milliarden Euro spendiert, Italien unterstützt Fiat-Chrysler mit einem Milliardenkredit, Deutschland wird vielleicht nächste Woche sein eigenes Programm vorstellen. Daneben schaffen die Staaten über die Förderung von Batterieproduktion und Ladeinfrastruktur die Voraussetzungen für den erwarteten E-Autoboom.

Spekulation auf den Aufschwung

Doch bleibt unklar, wie schnell sich das E-Auto überhaupt durchsetzen wird - der niedrige Ölpreis macht Verbrenner derzeit preiswerter. Setzt sich das E-Auto durch, bleibt immer noch fraglich, ob es die Umsatzrückgänge bei den Verbrennern kompensieren oder sogar überkompensieren kann. Offen ist auch, welche Hersteller sich am Ende auf dem Markt durchsetzen können und wo die Profite aus dem E-Autoverkauf anfallen - bei den Autobauern oder bei den Batterieherstellern? All diese Fragen wird erst die Konkurrenz auf dem Weltmarkt entscheiden.

Den Regierungen bleibt bei aller Unsicherheit allerdings nichts weiter übrig, als ihre finanziellen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Unternehmen an ihren Standorten möglichst gute Bedingungen zu bieten: Mit ihren Schulden ziehen sie einen gigantischen Kredit auf künftiges Wachstum. Hier gehen alle aufs Ganze: US-Präsident Donald Trump rechtfertigt die Milliardenhilfen für die Wirtschaft damit, »amerikanische Jobs zu sichern«. Und Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagt: »Angesichts eines China unter Xi Jinping und den USA von Trump dürfen wir nicht zögern.«

Entscheidende Waffe in dieser Konkurrenz bleibt für die Regierungen vorerst ihre Kreditwürdigkeit, für die ihre Zentralbanken garantieren, indem sie staatliche Schuldscheine aufkaufen. Die Bank of Japan kündigte an, notfalls noch mehr japanische Staatsanleihen erwerben zu wollen, obwohl sie bereits rund die Hälfte aller Anleihen ihrer Regierung hält. Die US-Zentralbank hat bei ihrem Kaufprogramm für Schuldscheine Washingtons ohnehin keine Obergrenze mehr gesetzt. Und die Europäische Zentralbank wird in der kommenden Woche voraussichtlich beschließen, ihr Kaufprogramm für Staatsanleihen der Euro-Länder deutlich aufzustocken. Wesentlich sei weniger, wo das Geld für die Hilfsprogramme herkomme, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde. »Entscheidend ist, wofür es ausgegeben wird.«

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