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Rechter Terror passiert niemals einfach nur so
Das antifaschistische Magazin »Der rechte Rand« hat ein Heft herausgebracht, dass die Kontinuitäten hinter den vielen Anschlägen durch Neonazis seit 1945 offenlegt
Als der »Spiegel« Ende Mai mit einer Geschichte über die völkischen Nationalisten in der AfD aufmachte, sorgte das Cover für heftige Diskussionen. Die Titelmontage zeigte Alice Weidel, Björn Höcke und Andreas Kalbitz in dämonenhaftes AfD-Blau getaucht vor einem roten Hintergrund. Dazu die Schlagzeile »Die Stürmer«. Kritiker bemängelten, damit würden die gezeigten AfD-Politiker überhöht und die grundsätzliche Gefahr, die von dieser Partei jenseits einzelner Akteure ausgeht, verharmlost. Höhnisch hieß es in den sozialen Netzwerken, bei dem Magazincover könnte es sich auch ein Poster handeln, das sich Anhänger der völkischen Ideologie über das Bett hängen könnten.
Solche Titelaufmacher würde es bei »Der rechte Rand« niemals geben. Schon ästhetisch unterscheiden sich die Cover des antifaschistischen Magazins deutlich von solchen marktschreierischen Methoden. Die Wirkung ist subtiler, aber dafür umso tiefsinniger. Die aktuelle Ausgabe mit dem Themenschwerpunkt Terror von Rechts ziert ein Geweih, auf dem das Wort Stammtisch mit weißer Farbe geschrieben steht. Die Jagdtrophäe steht auf einem Holztisch, auf dem eine Patronenhülse liegt.
Dieses Bildensemble spiegelt den Inhalt der Ausgabe in ihren vielen Details wider. »Der rechte Terror nach 1945 hat eine lange Tradition«, heißt es im Editorial. Das Geweih, der bildlich dargestellte Stammtisch, stehen symbolisch dafür, dass weder die NSU-Mordserie, noch die Attentate von Halle oder Hanau im gesellschaftlich luftleeren Raum geschahen. Gleich mehrere Beiträge dieser Ausgabe widmen sich der Frage, warum die von Behörden und Politik oft bemühte Erzählung vom Einzeltäter oder isoliert agierenden kleinen neonazistischen Gruppen, falsch ist. Rechter Terror passiert niemals einfach nur so.
Besonders detailliert arbeitet »Der rechte Rand« die historischen Kontinuitäten des rechten Terrors in der Bundesrepublik, aber auch international heraus. Aufgegriffen werden dabei einerseits Fälle, die in der medialen Wahrnehmung bis heute immer wieder eine Rolle spielen, wie etwa das Oktoberfestattentat 1980 in München oder der NSU, aber auch in Vergessenheit geratene Ereignisse, wie das neonazistische Attentat von Zirndorf im Juli 1980. Worin die Stärke der Texte besteht, zeigt exemplarisch der letztgenannte Artikel.
Der Anschlag der beiden Neonazis Sybille Vorderbrügge und Raymund Hörnle mit einer Rohrbombe auf eine Asylunterkunft wird nicht nur als bloßes historisches Ereignis geschildert, sondern von Autor Robert Andreasch in einen größeren Kontext gesetzt, dessen Pfade bis in die Gegenwart reichen. So gehörten die beiden Täter einer größeren Gruppe namens »Deutsche Aktionsgruppen« um den Rechtsanwalt Manfred Roeder an.
Beschrieben wird, wie Roeder 1996 (wieder einmal) vor Gericht steht, in diesem Fall für einen Farbanschlag. Aus der Neonaziszene kommt es beim Prozessauftakt zu Solidaritätsbekundungen, darunter durch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die später zum Kern des NSU-Netzwerks gehören. Das erste Attentat verübten die Rechtsterroristen dann auch drei Jahre nach dem Prozess gegen Roeder »zufällig« nur 20 Kilometer von Zirndorf entfernt in Nürnberg. »Natürlich hatte das NSU-Netzwerk nachweisbar Knotenpunkte in die Nürnberger Nazi-Szene«, schreibt Andreasch.
Der wohl zentrale Gedanke des Textes lautet dann auch: »Ein rechtsterroristisches Attentat hinterlässt immer auch ein 'Erbe' für die neonazistische Szene und motiviert zu eigenen Anschlägen. So entstanden Kontinuitäten der mörderischen Ideologien, der Opferauswahl, der terroristischen Konzepte, aber auch ein Wissenstransfer.«
So detailliert, wie »Der rechte Rand« auch über die Täter spricht, so wichtig sind dem Magazin auch die Opferperspektiven. Eingeleitet wird diese Ausgabe durch eine Erklärung von Elif Kubaşık, der Witwe des am 4. April 2006 ermordeten Mehmet Kubaşık, zum Urteil des Oberlandesgerichts München im NSU-Prozess. Weiter hinten im Heft findet sich passend dazu ein Interview mit dem NSU-Opferanwalt Mehmet Daimagüler, der über die persönliche, politische und gesellschaftliche Bedeutung der Nebenklage spricht.
Eine äußerst hohe Aktualität beweist die letzte Geschichte ganz hinten im Heft, die sich mit extrem rechten Gruppen in den USA beschäftigt, die seit dem vorletzten Jahrhundert die gesellschaftliche Vorherrschaft der Weißen propagieren - auch mittels Gewalt und Terror. Die dieser Tage nicht nur in den Vereinigten Staaten entflammten antirassistischen Proteste, angestoßen durch den gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd, machen auch diese rechten Netzwerke gerade wieder zum Thema.
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