Glück ist das nicht

Die Filmkomödie »A Home with a View« kritisiert die sozialen Verhältnisse.

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wohnung der Familie Lo ist vergleichsweise geräumig. Ein Luxus eigentlich, in der undefiniert zwischen Realismus und Dystopie schwankenden Inszenierung der Stadt Hongkong, die Hermann Yau in seiner fiesen Komödie »A Home with a View« entfaltet. Aber trotzdem, die Los stehen unter starkem Stress. Jeden Abend müssen die Familienmitglieder offen legen, was sie gespart haben, die Wohnung ist noch nicht abbezahlt. Die Mieten und die Wohnungspreise sind durch die Decke gegangen. Weite Teile des Lebens drehen sich darum, den Verbleib der Familie im Eigenheim, das eigentlich keines ist, zu finanzieren.

Es wird viel geschrien, alle sind unglücklich. Der Nachbar oben klopft laut Fleisch, Müll fliegt aus dem Fenster. Die Belastung und die existenzielle Dringlichkeit macht der Film mit grobschlächtigen Bildern klar. Ein Stockwerk darunter droht eine Mieterin während einer Räumung mit Selbstsprengung.

Bis hierhin wäre »A Home with a View« für den progressiv gestimmten deutschsprachigen Zuschauer erst einmal nur ein weiteres Argument für den sogenannten Mietendeckel. Hermann Yaus Film kann aber noch mehr. Dass der Film seine Figuren ganz offensichtlich nicht wirklich mag und die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen des Lebens, das sie nun einmal leben müssen, trotzdem mit spürbarer Wut angreift, erzeugt interessante Dissonanzen beim Zuschauer. Sympathie blitzt nur selten auf, Mitleid bestenfalls. Momente der Rührung und der Empathie werden demonstrativ unterlaufen. Etwa wenn der Großvater (Cheung Tat-ming) sich zur finanziellen Entlastung der Verwandtschaft von einer Brücke zu stürzen droht und der Sohn (Francis Ng) ihn zuerst mit dramatischen Gesten davon abhält. Um dann nachzuschieben, dass ein Vorhaben wie das des Großvaters hier nicht ginge - wegen der Überwachungskamera.

Der Modus, in dem die Figuren unterwegs sind, ist der einer konstanten Übersteuerung. Das ermöglicht Hysterie und Spaß und ein paar Over-the-top-Momente. Etwa eine blutige Spontangeburt auf der Schultoilette. Eine Szene, die daran erinnert, dass der Vielfilmer Herman Yau unter anderem ein routinierter Category-III-Regisseur ist - also der Kategorie, in der in Hongkong jene Filme einsortiert werden, die durch besondere Widerwärtigkeit auffallen. Zum Beispiel Yaus Werk »Ebola Syndrome« von 1996.

Die grimmige Komik, die sich aus dem Unglück und dem Verlust von Würde ziehen lässt, hält den im Vergleich zum sonstigen Schaffen Yaus noch wohltemperierten Film »A Home with a View« zusammen. Das Unglück durchdringt jede soziale Konstellation, Beruf und Familie, es ist überall, und es wird von den Bildern in engen Bezug gesetzt zur Stadt und ihrer Ökonomie.

Linderung verspricht allein der Blick aufs Meer. Durch ein Fenster der Wohnung kann man das Wasser sehen, und wenn die Familie sich vor diesem von brutaler Architektur umstellten Bild des Friedens versammelt, findet das allgegenwärtige Geschrei vorübergehend ein Ende. Als der Nachbar gegenüber eine Werbetafel auf seinem Dach installiert und der Familie so den Blick verstellt, kommt eine Eskalationsdynamik in Gang. Erlösung wird es am Ende natürlich nicht geben. Oder irgendwie auch schon, aber gut, Glück ist das nicht.

Man weiß bei »A Home with a View« nicht so recht, ob der Film die Gesellschaft verabscheut, die er zeigt, oder die Menschen, die in ihr leben müssen. Der Witz dieses Films ist, bei aller Überdrehtheit, recht kalt. Der Unterschied zum klassischen Sozialrealismus springt einem in jeder Einstellung ins Auge. Anders als zum Beispiel bei Ken Loach treten hier nicht beschädigte, aber in ihrem Kern edle Subjekte in Konflikt mit der Welt. Die Menschen hier sind im Groben so wie die Gesellschaft, die sie sich einverleibt hat, und umgekehrt. Auch wenn sie noch strampeln. Hoffnung gibt es also keine in diesem Film. Aber immerhin was zu lachen.

»A Home with aView«, Hong Kong 2019. Regie: Herman Yau. Darsteller: Francis Ng, Louis Koo, Anita Yuen. 92 Min. Abrufbar auf Netflix.

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