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Geliebt und unbezahlt
Gehalt: null. Kurzarbeitergeld: null. Wie das Team eines Berliner Gasthauses durch die Krise kommt.
Die Mittagssonne scheint auf die rote Backsteinfassade des »Gasthauses Lentz« im Berliner Stadtteil Charlottenburg. Alle paar Minuten kommen Stammgäste und Nachbar*innen vorbei und grüßen die Servicekraft Kathrin Pasold. Auf die immer gleiche Frage »habt ihr wieder auf?« schüttelt sie den Kopf und blickt in enttäuschte Gesichter. Seit Ende März ist das Lokal geschlossen, ob der seit zwei Jahren insolvente Betrieb wieder öffnet, ist unklar. Für die mehr als 20 Beschäftigten wurde Kurzarbeit angemeldet, doch noch ist kein Kurzarbeitergeld geflossen.
Kein Geld, keine Auskunft
Kathrin Pasold ist seit zweieinhalb Jahren beim »Lentz«. Sie arbeitete bisher in Vollzeit, in Schichten von neun bis zehn Stunden. »Gastro ist ein Knüppeljob«, sagt sie, »aber man hat gern Umgang mit Leuten. Man will ihnen was Gutes tun«. Monatlich verdient sie 1000 bis 1200 Euro netto. Dass sie von ihrem Job leben kann, liegt auch am Trinkgeld. Einige Hundert Euro kämen so noch dazu. Dass sie damit rechnen kann, liegt an der besonderen Kundschaft des »Lentz«: »Wir haben ein krasses Stammpublikum, die sind mit dem Laden groß geworden, 35 Jahre lang. Früher haben sie wilde Partys gefeiert, jetzt sitzen sie hier immer noch jeden Abend und trinken ihr Weinchen.«
Einige Gäste boten sogar an, den Beschäftigten finanziell zu helfen. Noch sei das nicht nötig, sagt sie, aber wie sich die Situation entwickelt, sei kaum abzusehen. Ihr stehen 677 Euro Kurzarbeitergeld zu. Selbst wenn sie den Betrag bekommen hätte: Zum Decken der Fixkosten ist das zu wenig. Deshalb hat sie früh ihre sogenannten Dauerschuldverhältnisse stillgelegt. Seit März hat sie ihre Miete nicht gezahlt, ebenso wenig den Strom, ihren Handyvertrag, Gas und Kabelfernsehen. Bis Ende Juni kann sie die Beträge ruhen lassen, danach muss sie sie in Raten abstottern.
Alle anderen Ausgaben finanziert sie über eine Aufstockung vom Jobcenter, 1200 Euro insgesamt für April und Mai. Für den März gab es nichts - nicht einmal den Lohn für die ersten zwei Märzwochen. Dafür wäre laut dem Insolvenzverwalter kein Geld mehr da gewesen. Seit Wochen vertröstet er die Belegschaft, doch die Zahlungen bleiben aus. Woran das liegt, ist nicht ganz klar. Das Team vermutet auch behördliche Verzögerungen, dennoch wäre es eigentlich Aufgabe des Arbeitgebers, mit den Zahlungen in Vorleistung zu gehen. Das Kurzarbeitergeld wird dann von der Bundesagentur für Arbeit erstattet. Die mit der Insolvenzverwaltung betraute Kanzlei war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, auch eine Anfrage per Mail blieb unbeantwortet.
»Jeder Tag, der vergeht, ist ein Tag, an dem das finanzielle Pölsterchen schrumpft«, so Kathrin Pasold. Derzeit bemüht sie sich um eine sogenannte Gleichwohlgewährung, eine vorläufige Zahlung von Arbeitslosengeld I der Bundesagentur für Arbeit an Beschäftigte, deren Arbeitgeber den Lohn nicht zahlen kann oder will.
Sie spricht von Gleichwohlgewährungen und Dauerschuldverhältnissen, als wäre es ihr Beruf. Dabei begann sie erst kürzlich, sich in die Themen einzulesen - und das nicht gerade aus reinem Interesse. Denn die Bundesagentur für Arbeit gibt nur den Arbeitgebern, die die Kurzarbeit beantragt haben, Auskunft über den Stand der Dinge. Oft hätten die Beschäftigten widersprüchliche Informationen erhalten. Zudem war der Insolvenzverwalter bei Fragen lange kaum erreichbar. Das änderte sich erst, als die Angestellten auf eigene Kosten eine Rechtsanwältin beauftragten.
Besonderes Team, treue Gäste
Jetzt ist Kathrin Pasold stolz auf ihre neuen Kenntnisse und darauf, dass sie sie an das Team weitergeben kann. Für die Mitarbeiter*innen aus China und Portugal, die nicht perfekt Deutsch sprechen, seien die Anträge eine besondere Herausforderung. Auch andere Mitarbeiter*innen sind besonders getroffen. Zwei Servicekräfte verdienen sich als Minijobberinnen etwas zu ihrer Rente hinzu. Da von ihrem Gehalt keine Sozialabgaben abgezogen werden, haben sie keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Während sich ein Teil des Teams auf gut verdienende Partner*innen verlassen kann, rutschen andere in den Dispo. Restaurantleiterin Dagi Seegestroj, die seit 22 Jahren im »Lentz« arbeitet, lebt nun von Erspartem. Die Kollegin, die Kathrin Pasold liebevoll »Chefin der Herzen« nennt, würde den Laden gern übernehmen und mit dem Insolvenzverwalter ins Geschäft kommen. Doch bisher bieten andere Investoren mehr: »Hier stehen ideelle gegen finanzielle Interessen«, sagt sie bedauernd.
Für Kathrin Pasold ist die gegenseitige Unterstützung im Team besonders wichtig. Die psychotherapeutische Heilpraktikerin spielt schon länger mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen. Die Ausbildung hätte ihr geholfen, besser mit der jetzigen Unsicherheit umzugehen. Ihre Pläne erhalten mit den düsteren Perspektiven in der Gastronomie neue Aktualität, »zumal der Bedarf für psychotherapeutische Intervention ja da ist«, sagt sie lachend.
Doch nicht nur die Belegschaft des Lokals hält zusammen. Auf der anderen Straßenseite steht eine Bank: »Da haben ein paar Stammgäste 400 Euro zusammengelegt und die gekauft. Jetzt treffen sie sich dort regelmäßig«, sagt Kathrin Pasold. Es stehen schon einige Bänke auf dem Stuttgarter Platz. Aber von denen haben sie keinen Blick auf ihr geliebtes »Lentz«.
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