- Kultur
- Normalität
staythefucknotnormal
Sonntagmorgen
Nach ungefähr drei Monaten Pandemiezustand schwoll die Liste von dauerpräsenten Menschen und Gruppen in den Zeitungen und sozialen Medien an: Die Risikogruppen. Die Älteren. Die Eltern. Die Kinder. Die Männer. Die Held*innen. Die Applaudierenden. Die, denen applaudiert wurde. Professor Drosten. Die, die in Musterfamilien oder Musterbeziehungsformen leben. Die separat lebenden Paare, deren eigentliche Frage auch in der Pandemie lautete: »Zu mir oder zu dir?« Die, die auf einmal so viel Zeit hatten, um sich mit dem Produktivitätsfetisch zu beschäftigen. Die, die selber Brot backten. Die, die mit Online-Apps Yoga machten. Die, denen ihre Fitnessstudios fehlten und die daher in Parks Sport trieben. Die alles mit der Meditation Besiegenden. Die, die es sich leisten oder selber entscheiden konnten, zu Hause zu bleiben, und denen daher der Hashtag staythefuckhome so selbstverständlich war. Die, die ihren Home-Office-Zustand ständig fotografiert und der Welt präsentiert haben. Die, die über gute Internetverbindungen verfügen und sich deshalb problemlos mit hippen Podcasts und Youtube-Filmen, visuellen Ausstellungen und digitalen Theaterinszenierungen vergnügen können. Til Schweiger. Die, die sich um den Spargel sorgten. Die, die ärmer wurden. Die, die reicher wurden. Die, die den Staat gut verarschen konnten. Die, die aus dem beengten Berlin aufs weite Brandenburger Land entfliehen konnten zum Wandern oder Segeln. Die, die ihren Zweitwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern nicht aufsuchen durften. Die, die schlauerweise noch vor der Grenzschließung in ihre Villen geflüchtet sind. Die, deren gebuchter Ski-Urlaub oder Italien-Trip platzte. Die, die Hof-Office machen konnten. Die, die mehr Auto gefahren sind. Die, die mehr Fahrrad gefahren sind. Die sogenannten Hygienedemonstrant*innen. Xavier Naidoo. Die Verschwörungsideolog*innen. Die, die sich um den Virus nicht scherten und Corona-Partys veranstalteten. Die, die unbedingt raus müssen, sobald die Sonne scheint.
Gehört man keiner dieser Gruppen an - und ja, es gibt solche Menschen -, braucht man sich auch keine Sorgen zu machen um die »Normalität«. Zu der gehörte man eh nie.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.