Polizei-Randale und «berührte Herzen»

Die Black-Lives-Matter-Proteste zeigen Wirkung - trotz Bitterkeit, Radikalisierung und Repression.

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

«Daddy changed the world», sagt Gianna Floyd lächelnd und reißt ihre Arme hoch, als sie auf den Schultern eines Freundes ihres getöteten Vaters sitzt. Das Video der Tochter von George Floyd hat sich in den letzten Tagen rasant in den sozialen Medien verbreitet. Millionen sahen die hoffnungsvolle Botschaft, die trotz Bitterkeit und Radikalisierung auch Teil der Proteste ist, welche bereits erste Erfolge verbuchen können.

Schon zwei Tage nachdem Minnesotas progressiver Staatsanwalt Keith Ellison die Strafverfolgung im Fall Floyd übertragen worden war, verschärfte dieser die Anklagepunkte gegen die betroffenen Polizisten. Derek Chauvin, der auf Floyds Hals kniete, wird nun nicht nur Totschlag, sondern auch Mord «zweiter Ordnung» vorgeworfen«. Damit wird der Mord nicht mehr als Zufallstat gewertet, sondern es wird ein gewisser Vorsatz behauptet, der schärfer bestraft werden kann.

Den drei weiteren Beamten, die Floyds Körper zu Boden gedrückt und nicht helfend eingegriffen hatten, wird nun Beihilfe zum Mord und fahrlässiger Totschlag vorgeworfen. Sie sitzen seit Mittwoch ebenfalls in Haft. In den sozialen Medien wurde die Nachricht aber auch mit Misstrauen aufgenommen und bezweifelt, ob es tatsächlich zu einer Verurteilung kommen werde. Unterdessen sprachen sich die Bezirksstaatsanwälte in Minnesota dafür aus Ellison die Möglichkeit zu geben alle Fälle von tödlicher Polizeigewalt zu untersuchen.

Doch das hat nicht zu einem Ende der Demonstrationen geführt, auf denen längst ein grundsätzlicher Wandel im Land gefordert wird und in deren Umfeld mindestens zwölf Menschen aus unterschiedlichen Gründen gestorben sind. Auch Donnerstag wurde landesweit den 10. Tag in Folge protestiert.

Zwar wurden etwa in Seattle früher als geplant Ausgangssperren aufgehoben, auch in Washington D.C. wurde Donnerstagnacht eine solche Regelung beendet, jedoch: Immer wieder gingen Polizisten in den letzten Tagen hart gegen friedliche Protestierende vor, sowohl vor als auch nach Beginn der Ausgangssperren. »Was wir erleben, ist ein Polizei-Riot«, erklärte Julian Castro, ein prominenter Demokraten-Abgeordneter. »Jedes neues Video zeigt, wir brauchen eine komplette Neuorganisation von Polizeiarbeit in diesem Land«, so Castro, der letztes Jahr kurzzeitig auch Präsidentschaftskandidatenanwärter der Demokraten war.

Nach Zählungen der Associated Press wurden inzwischen mehr als 10 000 Menschen bei Protesten festgenommen. Teils wegen Plünderungen, doch den meisten Verhafteten wird die Verletzung von Ausgangssperren vorgeworfen. In New York City etwa hielten Autofahrer auf Video fest, wie Polizisten ohne Provokation einen unbeteiligten Fahrradfahrer an einer Ampel mit Schlagstöcken traktierten. Aufgefangene Funksprüche legen Rachefeldzüge von Polizeibeamten nahe.

Als Reaktion auf das tagelange harte Vorgehen gegen Protestierende in New York wurde Bürgermeister Bill de Blasio von Demonstranten ausgebuht, seine versuchte Rede an Black-Lives-Matter-Aktivisten ging in Sprechchören unter, die seinen Rücktritt forderten. Der Demokrat, der in jungen Jahren in der Nicaragua-Solidarität aktiv war, 2013 mit Kritik an Racial Profiling Wahlkampf machte und als Polizeireformer angetreten war, hatte in den letzten Tagen seine Basis mit kritikloser Unterstützung für die Beamten des NYPD gegen sich aufgebracht.

Doch es gibt auch Gesten der Deeskalation: In Flint in Michigan legte der Sheriff der Stadt seine Schutzausrüstung ab und reihte sich in den Protest ein, die Stadt Oakland vermeldete Donnerstagabend 8000 Demonstranten und nur eine Festnahme, in Baltimore hakten sich Polizisten in Uniform bei Demonstranten unter. Immer wieder knieten Polizisten in den letzten Tagen auch zusammen mit Protestierenden nieder. Aktivisten kritisierten dies als Polizei-PR.

George Floyd habe »viele Herzen berührt«, erklärte Philonise Floyd bei einer Trauerfeier für seinen Bruder in Minneapolis am Donnerstag. Er zeigte sich zuversichtlich: »Wir alle wollen Gerechtigkeit für George, er wird sie bekommen.« Auf der Veranstaltung gab die Familie Floyd bekannt in den nächsten Wochen zusammen mit dem Bürgerrechtler Al Sharpton für einen »March on Washington« am 28. August mobilisieren zu wollen. Der Name der Großdemonstration ist eine Anlehnung an die gleichnamige von 1963, auf der Martin Luther King seine »I have a dream«-Rede hielt.

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