Proteste zum Einjährigen

In Kasachstan wird gegen die Corona-Einschränkungen von Präsident Toqajew demonstriert

  • Othmara Glas, Almaty
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie demonstrieren wieder in Kasachstan: Am Wochenende gingen Hunderte Menschen in mehreren Städten auf die Straßen. Es waren die ersten Proteste seit den Lockerungen der Corona-Einschränkungen. Und es kam, wie es meistens kommt, wenn sich die Opposition versammelt: Polizei und Spezialeinheiten nahmen etliche Demonstranten fest.

Dabei hatte Präsident Qassym-Schomart Toqajew nach den andauernden Protesten im vergangenen Jahr angekündigt, das Versammlungsrecht zu liberalisieren. Im Mai unterzeichnete er die entsprechende Gesetzesnovelle. Die stieß jedoch sogar international auf Kritik, da sie die Demonstrationsfreiheit eher einschränkt als fördert.

Toqajew wurde am 9. Juni 2019 zum Präsidenten Kasachstans gewählt. Das Amt hatte er aber schon knapp drei Monate interimsmäßig inne, nachdem im März Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew zurückgetreten war. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa stufte die Wahl weder als frei noch fair ein.

Nasarbajews Rücktritt kam zu einem Zeitpunkt, als der Unmut der Bürger über die soziale und wirtschaftliche Situation im Land immer größer wurde. Toqajew stand vor der schwierigen Aufgabe, die Situation zu befrieden. Doch auf wirkliche Reformen hatte niemand gehofft. Der Karrierediplomat Toqajew ist ein langjähriger Weggefährte Nasarbajews, der im Hintergrund weiterhin die politischen Fäden in der Hand hält.

In der Coronakrise zeigte Toqajew allerdings Führungsstärke - und dass er durchaus für einen neuen Politikstil steht. Als ehemaliger Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Genf weiß er um die Bedeutung von internationalen Organisationen. Die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahm er früh ernst. Bereits Ende Januar wurden die Grenzen nach China geschlossen. Kasachstan war auch das erste Land in Zentralasien, das zugab, dass das Coronavirus ausgebrochen sei. Mitte März wurde der Notstand ausgerufen und die größten Städte des Landes unter Quarantäne gestellt. Die Nachbarländer Kirgistan und Usbekistan folgten dem Beispiel Kasachstans und zogen nach.

Die harten Maßnahmen wie Ausgangssperren und stetige Polizeipräsenz zeigten Wirkung. Die Fallzahlen blieben moderat. Erst seit dem Ende des Lockdowns Mitte Mai schnellen die Zahlen in die Höhe - von damals 5500 auf mittlerweile fast 13 000. 56 Menschen sind bisher offiziell an Covid-19 gestorben. Detailliert informiert die Regierung über neue Infektionen, durchgeführte Tests und geplante Maßnahmen.

Anders als Nasarbajew, der in Krisenzeiten die Bevölkerung zu Spenden für in Not geratene Unternehmen aufruft, hat der aktuelle Präsident sogar staatliche Soforthilfen verteilt. Auch wenn die Auszahlung von monatlich circa 92 Euro längst nicht alle erhalten haben, die sie gebraucht hätten, ist es für viele das erste Mal, das Gefühl zu haben, dass der Staat auch geben und nicht nur nehmen kann.

In anderen Dingen bleibt Toqajew allerdings der Politik seines Vorgängers treu. Die Regierung nutzte die Notstandsgesetzgebung dazu, Oppositionelle einzuschüchtern. Etliche Regimekritiker und Journalisten wurden unter dem Vorwurf, falsche Informationen zu verbreiten und die Regeln des Ausnahmezustands zu verletzen, festgenommen. Auch deshalb riefen die Demonstranten am Wochenende wohl nach demokratischen Reformen. Zudem forderten sie einen Schuldenschnitt für die von der Coronakrise Betroffenen. Einige Protestteilnehmer kritisierten den wachsenden Einfluss Chinas in Kasachstan.

Ob sich in Kasachstan bald wirklich etwas ändert, hängt wohl davon ab, wie viel Einfluss Nasarbajew weiterhin hat. In der Coronakrise überließ er Toqajew die Bühne. Aufgrund seiner seltenen Auftritte munkeln einige bereits, dass der 79-Jährige gesundheitlich stark angeschlagen sei. Toqajew selbst hat anscheinend jedoch in den vergangenen Monaten an Selbstbewusstsein gewonnen. Anfang Mai entließ er Nasarbajews Tochter und mögliche Präsidentennachfolgerin Dariga Nasarbajewa als Senatssprecherin. Die Hintergründe sind noch immer unklar.

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