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- Afrika und die Coronakrise
»Dieser Einsatz ist meine Pflicht«
Die Schauspielerin Katja Riemann über ihr soziales Engagement in Afrika und die Coronakrise
Frau Riemann, die Coronakrise bestimmt unser aller Alltag. Experten fürchten, dass es Hunderttausende Tote gibt, wenn die Infektionswelle den afrikanischen Kontinent mit voller Wucht erreicht. Sie kennen Afrika. Was denken Sie, wird Corona dort anrichten? Wie können wir helfen?
Wie wir helfen können? Wollen wir denn helfen? Und warum sagt man »helfen« statt »unterstützen« oder gar »teilen«? Ich glaube, wir müssen uns dringend verabschieden von dem »poverty porn« (Armutspornografie) und dem Narrativ über »Afrika«, in dem alle Länder in einen Topf geworfen werden, als wäre der afrikanische Kontinent nicht genauso vielfältig wie der europäische. Ich weiß, dass der Kontinent sehr krisenerfahren ist. Durch Corona sind ja jetzt nicht plötzlich andere Probleme gemeistert. Malaria zum Beispiel. Was Europa tun kann, ist faire wirtschaftliche Zusammenarbeit und sind Präventivmaßnahmen. Was jeder Einzelne tun kann, ist seinen Rassismus, seine Voreingenommenheiten zu überprüfen.
Der Titel Ihres Buches »Jeder hat. Niemand darf.« bezieht sich auf die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« der UN-Vollversammlung von 1948. Fast jeder der 30 Artikel beginnt mit »Jeder hat …« oder »Niemand darf …«. Welcher der Artikel ist Ihnen besonders wichtig?
Was mir wichtig ist, verzeihen Sie, ist hier nicht die Frage! Wesentlich ist die Existenz der Menschenrechte in ihrer vollen Umfänglichkeit, das ist ja kein Rosinenpicken. Würden alle 30 Artikel in allen Ländern der Welt eingehalten, sähe die Situation der Menschheit dieses Planeten sicher anders aus.
Sie haben von Grausamkeiten erfahren, die Sie für Ihr Buch nicht in Worte fassen wollten. Wie kann man den Opfern helfen, derart Schreckliches zu überwinden?
Zuallererst, indem man sie nicht doppelt viktimisiert. Ich erzähle nicht von Opfern, sondern von zumeist Frauen und Kindern und ihren Geschichten. Ich erzähle konkret von den Projekten, in denen Wege geebnet und Unterstützung und Impulse gegeben werden, damit - wie in dem Fall der Kindersoldaten im Ost-Kongo - sie es schaffen, sich zu resozialisieren oder ihre Familien wiederzufinden. Ich erzähle nicht von Grausamkeiten und Schrecklichkeiten, sondern davon, wie ich unter anderem die Ehre hatte, am Unterricht der demobilisierten Kindersoldaten teilzunehmen.
Wie viel Distanz zum Erlebten braucht man, um über derartige Erfahrungen schreiben zu können?
Weiß ich nicht. Keine, im besten Fall. Ich bin ja nur der Bote, der Erzähler der Geschichten, die nicht ich, sondern andere Personen erlebten. Und es ist großartig, dass ich vielen so nah kommen durfte. Dass mir ein Mädchen von der Zeit berichtete, als sie von Menschenhändlern in die Zwangsprostitution verkauft wurde. Dass Mädchen, die acht Jahre lang als Sklavinnen lebten, mir von ihren Fortschritten in der Schule berichteten. Ich habe immer versucht, den positiven Aspekt hochzuhalten, den Blick darauf, dass etwas bewegt werden kann und auch bereits bewegt wurde. Man muss keine Angst haben, mein Buch zu lesen, weil man denken könnte, es sei zu schrecklich und zu grausam. Das Gegenteil ist der Fall.
In der Demokratischen Republik Kongo sind Sie dem Friedensnobelpreisträger von 2018, Dr. Denis Mukwege, begegnet. Was hat Sie an ihm besonders beeindruckt?
Dass er seinen Zorn und seine Empathie nicht verloren hat. Dass er nicht aufgegeben hat und sich einmischt. Dass er ein wahnsinnig guter Chirurg ist! Dass er meine Hand gehalten hat, nachdem er mich aufforderte, den durch Massenvergewaltigung verstümmelten Frauen, die noch auf ihre Operation warteten, etwas zu sagen.
Vergewaltigung wird oft als Instrument des Krieges eingesetzt. In vielen Ländern ist Vergewaltigung nicht mal eine Straftat. Wie kann das sein?
Die zentrale Frage müsste doch eigentlich heißen: Warum vergewaltigen Männer Frauen? Oder? Wenn sie das nicht täten, müsste man sich auch keine Gedanken darüber machen, wie man sie bestrafen sollte. Vergewaltigung ist in vielen Ländern kein kriminelles Delikt, das ist richtig. Ich könnte mir vorstellen, dass das mit dem tief verinnerlichten Frauenhass zu tun hat beziehungsweise der Diskriminierung von Frauen beziehungsweise mit der Geschlechterungerechtigkeit beziehungsweise damit, dass - historisch gesehen - Frauen einfach nicht in der Gesellschaft vorkamen. Die Frauen sind wohl die größte Randgruppe überhaupt, mit einem Weltbevölkerungsanteil von knapp 51 Prozent. Wir können auch fragen: Warum ist es kein Delikt, wenn Frauen für dieselbe qualifizierte Arbeit weniger Lohn erhalten?
Die Menschenrechtsaktivisten brauchen Stars wie Sie, um Ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen, um Bewusstsein zu schaffen. Sehen Sie als erfolgreiche Künstlerin Ihr Engagement als moralische Verpflichtung?
Nein, die Aktivisten brauchen Unterstützung und Multiplikatoren, da ist es Wurst, wer es ist. Und es sind ja viele, das dürfen wir nicht vergessen. Bestimmt auch Leser dieser Zeitung. Und eben auch Künstler. Vielleicht weil wir kreativ und emotional arbeiten. Und ja, ich habe nach all den Jahren begriffen, dass es eine Pflicht ist, mich für jene einzusetzen, die nicht in der Lage sind, ihren eigenen Fall vorzubringen.
Ein starkes Kapitel ihres Buches ist das über Deutschland - auch, weil es klarmacht, dass die Missachtung der Menschenrechte keine Frage von geografischer Entfernung ist. Wie blind ist unsere Gesellschaft für die Ungerechtigkeit vor der Haustür?
Das freut mich, dass Sie mein Deutschland-Kapitel mochten. Ich maße mir nicht an, über andere zu urteilen, ich versuche immer nur an das eigene Bewusstsein zu appellieren, um sich zu verdeutlichen, wie schnell man in die Falle der Vorbehalte und Voreingenommenheiten tappt. Die vorurteilsbehaftete Ablehnung des Unbekannten führt schnell zu Rassismus - und dann haben wir den Salat. Die Enge des Denkens, die könnte man ja mal zur Abwechslung erweitern, da begegnet man neuen Räumen und Möglichkeiten. Das ist doch was Schönes.
Ihre Tochter Paula hat Sie nun bereits zweimal auf den Projektreisen begleitet. Ist Helfen ansteckend?
Ich würde mich nicht als Helfende bezeichnen. Ich finde den Ausdruck auch irgendwie postkolonial. Diejenigen, die Hilfe zur Selbsthilfe initiieren und gestalten - ja, das gibt es wirklich - , sind hauptsächlich Menschen aus der Region der jeweiligen Projekte.
Sie reisen seit rund 20 Jahren mit den Nichtregierungsorganisationen. Wie hat Sie das verändert?
Es ist immer schwierig, so etwas über sich selbst zu sagen, aber ich glaube, es hat mich vor allem lebendig gehalten. Ich spüre das Leben stark, wenn ich unterwegs bin.
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